„Um Himmels Willen!“ mag der geneigte Leser denken und „Dem Himmel sei Dank!“ der abgeneigte, wenn „Tod eines Helden“ in Zusammenhang mit einem gewissen Bruder Lammfromm formuliert wird. Doch ist es ganz anders und so sehet selbst …
Ein tiefer Stich meldete sich im Herzen des Bruders, der da eingehüllt in seine rote Kutte mit einem Brief an einem Fenster der Ordensburg saß. Lunacrovi ist nicht mehr, jener Ort in der Ferne, an dem sich seine und Bruder Alistairs Wege getrennt hatten. Wie lange waren sie zusammen gereist? Die Vergangenheit verblasste im eintönigen Einerlei der Burg. Diese war ihm durchaus reiht. Die Vergangenheit war eine Jägerin und die Burg sein Kaninchenbau. Nach einem bewegten Leben als Krieger der Pilgergenossenschaftund und zahlreichen Privilegien, sollte die Sonne doch bescheidenen Stolz in seine Brust lodern lassen. Nichts von alledem. Stattdessen luden die Jahre immer mehr Last auf sein Gewissen. Jedes einzelne Opfer des Brandes von Siebenhöfen besuchte ihn jede Nacht.
Etwas Milde brachte ihn die Pilgerschaft zum Ignis-Schrein nach Lunacrovi. Bruder Alistair hatte dort sesshaft geworden die Geschäfte übernommen. Beide wurden Zeuge, als dort die Heilige Alisea vom Himmel hinabstieg, Wunder wirkte und wieder gen Himmel entschwand. Welch ein Abschluss ihrer gemeinsamen langen Reise.
Wie viele Jahre hatten sie gemeinsam gegen das Dunkle gestritten? Alistair kam aus Escadon, einem Bündnispartner Trums und dessen Ignis- und Champas Sonnenorden sahen sich als Diener derselben lichten Macht. Da war diese farbenfrohe Hexenverbrennung in Westflachgrund gewesen … welch Augenschmaus. Lammfrom schnappte nach Erinnerungsfetzen und er bemerkte eine Verklärung. Da waren die vielen persönlichen Streitigkeiten mit Alistair. Geschlagen hatten sie sich mit Nudelhölzern und Pfannen.
Längst hatte sich der Sonnengläubige in der Ferne verloren, den Brief unzählige male gelesen, hielt er ihn weiterhin so, als könnte er noch irgend einen Staubkorn neue Kenntnis daraus ziehen.
Alistair war tot. Viele Pilger dahingemetzelt. Die Pilgerstätte samt Lunacrovi vernichtet. Viel wusste der Brief nicht zu berichten über die Umstände, nur dies: Der Anführer der Pilger starb ehrenvoll. Er soll sein Leben für die Rettung der Pilger hingegeben haben. Für Lammfromm gab es keinen Zweifel dass es so war. Sein Reisekamerad hatte stets die Tapferkeit gezeigt, die ihm selbst fehlte. Und er hatte die Gabe, Menschen um sich zu scharen, was Lammfromm ebenfalls abging.
Mit der Pilgerstätte endete auch jegliche Beziehung des Sonnenordens zum Ignis-Orden von Escadon. Die Sonnenkirche hatte die Auflösung der Pilgerstrecke nach Lunacrovi eingeleitet und auch einige Reliquien von dort abgestoßen. Es mochte zwar die Locke der heiligen sein, aber wenn dies die Konsequenzen ihres Schutzes waren, gab man sie gerne anderen zahlungskräftigen Gläubigen zum Geleit.
Jedoch alles Dinge, für die in Lammfromms Geist wenig Nachhall fanden. Der Nebel des erlösenden Vergessens begann sich wieder zu verdichten. Nur den Namen Alistair vermochte er nicht zu verschleiern. Wie lange wohl, bis Lammfromm auch diesen endlich vergessen würde? Vergessen, so wie alles andere auch. Außer die täglichen eintönigen Pflichten.
So saß er noch eine Weile, bis ihn die Abendglocken zum Gemeinschaftsgebet forderten. Zurück am Fenster blieb der Brief. Ein Windhauch trug ihn über die Burgmauern hinfort ins tiefe Champa und vielleicht sogar bis nach Surabad.
Das Auge der Sonne
„Mama! Ich habe einen Ritter kennengelernt! Also eigentlich war er kein Ritter, sondern ein Glaubenskrieger, aber für mich sah er aus wie ein Ritter und er war wirklich sehr nett. Jupp hatte mich abends mit in die Taverne genommen und da kam der Mann in Rüstung auf mich zu, ob ich mich später zu ihm setzen möge. Nein, nicht was du jetzt denkst, Mama. Er war wirklich sehr charmant und höflich. Wir kamen so ins Gespräch und er erzählte mir wirklich außergewöhnliche Dinge! Kannst du dir vorstellen, Mama, dass er das Auge eines Gottes in sich trägt? Er meinte, es sei eine Strafe, aber ich finde, das ist doch durchaus eine Ehre. Er erzählte mir, wie es dazu kam, es war wie ein buntes Märchen! Das werde ich meinen Kindern später noch erzählen. Er erzählte von einer Dschinn, der er verfiel. Sie erfüllte ihm zwei Wünsche, aber auf eine Art und Weise, die ihm nicht gefiel. Sie stellte ihm eine Falle und er ward fortan verflucht. Lange Zeit musste er mit den Folgen seiner Wünsche leben. Doch es gelang ihm, sie unter schweren Verlusten rückgängig zu machen. Doch gänzlich befreit wird er wohl niemals sein. Denn seitdem muss er eine andere Frau im Herzen und seinen Gott im Auge tragen. Und deshalb, sagte er, solle man immer vorsichtig sein mit dem, was man sich wünscht. Das war echt ein toller Ritter, Mama.“