Delernas Urpferd

Delernas Urpferd, oder wie es zum Konflikt zwischen Rendsgard und Delerna kam.

Das Feuer prasselt im Langhaus, derweil es draußen winterlich stürmt und Schneeflocken umeinander hertanzen. Die Winter sind in Delerna, das im südlichen Hardemunt liegt in der Regel recht mild. Doch die Tage ums Julfest rücken die Anwohner gern etwas enger aneinander und erzählen sich im Schein des Feuers und bei einem heißen Akeder Honigmet Geschichten von früher und singen nostalgische Lieder mit tragenden Klängen.

Maer Hjallmarsdotir rückt noch etwas näher an den alten Frithjof ran und schnalzt einmal kurz. Er hebt den Kopf, nickt und fängt an Maers Lieblingsgeschichte zu erzählen…:

„Ein jeder weiß, dass die besten Pferde Trums in Delerna gezüchtet werden. Und manch einer fragt sich, liegt es an den grünen, weiten Feldern dort, oder vielleicht an dem unbeständigen Wetter zwischen Sturm und Sonne, das diese Pferde so einzigartig macht? Was ist es, das den Tieren gar zauberlich anhaftet, so dass sie weit mehr tragen, ziehen oder schneller laufen können als manch mächtiges Streitross?

Und so sage ich euch, die Pferde in Delerna stammen vom Urpferd ab, so sagt man sich. Und mit dieser Geschichte kam es auch zum ewigen Zwist zwischen Rendsgard und Delerna. So lasst mich erzählen…

Es gab eine Zeit, da in Delerna das ganze Jahr über die Felder grünten und blühten, die Obstbäume standen ständig in Blüte oder Frucht und ganze Korn- und Mohnfelder wiegten sich im sanften Wind. Auf dem Rest der Insel Trum jedoch herrschte ein nahezu immerwährender Winter. Man sagte sich, dass es vor Urzeiten einmal Einhörner auf Trum gegeben hatte, die uns die warmen Jahreszeiten brachten. Sie waren überall auf der grünen Insel zu finden, bis sie nach und nach verschwanden und nur Delerna als einziger Flecken vom Winter verschont blieb. Denn man sagte sich auch, dass dort, wo ein Einhorn lebte stets Frühling und Sommer sei. Einst lief ein kleiner Bengel mit seinem Vater zu den Hügelgräbern von Delerna und der Lütte fragte: „Vater! Wie kommt, es dass überall Winter ist, nur hier ist das Gras noch so saftig grün?“ Und der Vater antwortete: „Das ist, weil es hier noch ein Einhorn gibt, Sohn. Das letzte, wie mir scheint.“ Das Einhorn, das zwischen den Steinen stand, hörte dies. Und so beginnt die Geschichte.

Das Einhorn ward traurig ob der Tatsache, dass es scheinbar das letzte seiner Art sein sollte und wollte das nicht glauben. Also machte es sich auf die Suche nach seinen Artgenossen.

Es verließ Delerna und erlebte auf seiner Reise eine Menge Abenteuer, die ich ein andernmal erzählen werde. Schließlich schlossen sich ihm allerdings ein Skalde namens Rigo mit einer magischen Laute und die kleine Schildmaid Iona an. Sie hatten gehört, dass der Jarl Harald Sjörgeson, der ein Rendsgarder war sich ein Haus am Meer zwischen Delerna und Sirske gebaut hatte. Außerdem sagte man sich, dass er sich dort in einem nahen Wald einen riesigen magischen Keiler hielt, der alle Einhörner von Trum zusammengetrieben und ins Meer gejagt hatte. Denn, so sagte man, Sjörgeson hatte sich einst in ihre Schönheit verliebt und wollte seitdem alle Einhörner für sich haben. Der große Keiler, der auch das Rendsgarder Wappentier ist hatte alle Einhörner mit seinen riesigen, flammenden Hauern bedroht und nach und nach in die Fluten geschickt. Und nun mussten die Seelen der Einhörner, zur Schönheit verbannt mit jeder Flut über die Wellen reiten und würden doch niemals wieder das Ufer erreichen, da der Keiler dort auf sie wartete, während dadurch das ganze Land zu einem ewigen Winter verbannt worden war.

Mit dieser Geschichte im Kopf suchten unsere drei Freunde das Haus des Jarls auf. Doch als sie aus dem Wald Richtung Küste traten, sahen sie den großen Keiler und der Keiler sah sie… und das letzte Einhorn. Er stürmte auf sie zu auch das letzte von ihnen zu seinen Artgenossen zu bringen. Sie rannten und liefen und stolperten, um den Schutz des Waldes wieder zu erreichen, doch es war zu spät. In dem Augenblick, da der Keiler vor dem Einhorn stand griff Rigo zu seiner Laute und sang mit letzter Hoffnung eine kurze magische Weise. Die Klänge trugen weit übers Feld und umhüllten das Einhorn ganz. Erstaunt starrten er und Iona auf das Einhorn, das sich vor ihren und den Augen des Keilers in eine wunderschöne Maid verwandelte. Lange weißblonde Locken fielen ihr über die Schultern bis weit über den Rücken. Die Wimpern schlugen wie sanfte Schwingen einer Taube und die Augen leuchteten so tiefblau wie das Meer an einem sonnigen Tag, während ihre Haut so blass wie frischer Schnee war. Die Musik des Rigo war wahrhaft magisch. Der Keiler verlor das Interesse und verschwand am Strand. Iona kleidete das nackte, wunderschöne Mädchen ein und so gingen die drei Menschen zur Hütte des Jarls. Er nahm sie in Empfang und sie wohnten einige Tage bei ihm. Unterdessen kam Tjarek herbei, der Sohn des Jarls und verliebte sich sofort in dieses unglaubliche Geschöpf, das einst ein Einhorn gewesen war. Diese jedoch wurde mit jedem Tag trauriger, da sie in der Gestalt eines Menschen gefangen war. Tjarek, in dem Willen ihr den Hof zu machen und sie wieder zum Lächeln zu bringen versuchte seinerseits alles. Er erschlug Drachen, brachte ihr unermessliche Schätze, die ausgefallensten Stoffe, baute ihr eigens ein Drachenboot. Doch nichts half.

Und jede Nacht starrten sie mit Jarl Harald auf das Meer, um die Schönheit der Einhörner zu bewundern, die dort durch die Fluten sprangen, während der große Rendsgarder Keiler mit seinen Feuerhauern am Strand entlang schritt.

Iona und Rigo hatten schließlich den Wald des Keilers ausgemacht. Schließlich gingen die drei eines Nachts dorthin, um den Keiler zu töten und die Einhörner zu befreien. In einem mächtigen Kampf stellten sie sich gegen das Tier, doch selbst Iona als eine erfahrene Schildmaid war nicht stark genug, sich gegen dieses monströse und riesige Tier durchzusetzen. Tjarek, der das Getümmel mitbekommen hatte und um seine Angebetete bangte kam ihnen zur Hilfe, doch auch ihn mähte das Monster nieder.

Also griff Rigo erneut zur Laute und spielte erneut seine magischen Weisen. Das Einhorn ward befreit von seiner Gestalt und erfüllt von Trauer um seine Artgenossen und den getöteten Tjarek, der sie doch so inbrünstig geliebt hatte und voll Wut stürzte es sich auf den Keiler und trieb ihn seinerseits Schritt für Schritt am Strand vor sich her. Als die im Meer gefangenen Einhörner das sahen, verließen ihre Seelen das Meer. Sie kamen zu hunderten und flogen auf das Land zu. Der Keiler ergriff die Flucht über Wiesen , durch Wald und über ein Gebirge. Im zweiten Gebirge so sagt die Erzählung sprang der Eber in die Erde und unter den Berg aus dem noch heute Dank seiner feurigen Hauer ab und zu Lava austritt.

Die Seelen der Einhörner aber flogen über das Land und brachten so erneut den Frühling nach Trum.

Das Einhorn jedoch kehrte nach Delerna zurück. Doch es war niemals wieder wie zuvor, denn es war seitdem das einzige Einhorn, das Traurigkeit hatte kennenlernen müssen. Und so lebte es dort noch jahrelang in Trauer um Tjarek, den Jarlssohn, der es doch von Herzen geliebt hatte und der gestorben war.

Rigo seinerseits gelang es, die schwer verwundete Iona mit einer magischen Weise seiner Laute zu heilen und zog seitdem mit ihr über das Land, um die Kunde zu verbreiten, dass das letzte Einhorn Trums die Jahreszeiten zurückgebracht hatte.

Delernas Anwohner halten seitdem die Pferde besonders in Ehren. Man sagt sich sogar, die Pferde, die in Delerna gezüchtet werden seien Nachfahren dieses einen letzten Einhorns. Und nicht zuletzt scheint es deshalb einen ständigen Konflikt mit den Rendsgarden zu geben, die ihren großen Keiler ehren.“

So beendet Frithjof seine Geschichte und alle, die rund ums Feuer sitzen und ihm andächtig gelauscht hatten, vermögen in den tanzenden Flammen springende Einhörner aus dem Meer oder einen riesigen Keiler mit glühenden Hauern zu sehen. Und Maer gießt dem alten Frithjof noch einen heißen Honigmet ein.

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