Blutsbande – Letzte Gedanken einer Matriarchin – Tag 2

Am nächsten Tag begab ich mich mit dem Minister direkt in unser Zimmer im Dachgeschoss, ohne jede Nachricht von der Bruderschaft oder La Familia erhalten zu haben. Doch um unsere Ehre zu erhalten mussten wir warten. Dennoch, ich wusste, dass dieser Tag ereignisreich werden würde und die Tochter gesellte sich bald zu uns. Ich hatte Pläne.

Die Tochter hatte in der Nacht versucht, in dieser abgelegenen Gegend der Bruderschaft Clanangehörige zu finden und kam im Morgengrauen mit zwei Männern zurück, die wir als Soldaten einsetzen konnten. So hatten wir jetzt die Möglichkeit im Stillen und hinten rum Rache zu üben und die anderen Gesellschaften im Stillen zu beeinflussen, wie es nun einmal unsere Art war.

Nach und nach brachten die Männer uns einzeln Personen aus der Taverne hinauf in den Turm, wo wir mit ihnen sprachen, Informationen erhielten und die Tochter ihnen sanft über die Gesichter strich, bevor sie ihre Zähne in ihre Leiber stieß. Dem ein oder anderen konnten wir sogar ihr Blut untermischen, das dafür sorgte, dass sie auf unserer Seite stehen würden, wenn es hart auf hart käme. Ein Mann mit Lebkuchen verbreitete fortan die Botschaft, dass er sich in uns getäuscht hätte und wir doch äußerst sympathische Leute seien. Diese Nachricht ließ mich erstaunen, verstand ich doch immer noch nicht, was uns am vorigen Tag hätte unsympathisch machen können. Doch dankend nahmen wir seine Geschenke an.

Die Bruderschaft hatten wir bereits am Vorabend infiltriert, als Tochter sich der Alchemistin annahm. Nun sollte auch die La Familia einen Treuen in ihre Reihen bekommen und ich ließ den Buchhalter zu uns bringen. Auch er verfiel den Augen und Zähnen der Tochter, übertrieb allerdings beim Blutrausch und wurde so ihr treuer Diener.

Dann erhielten wir die Nachricht, dass Laslows Tochter, die Braut für unseren Minister, die an diesem Morgen hätte eintreffen sollen nicht gekommen war. Männer machten sich auf die Suche nach ihr und fanden ihre Leiche wenige hundert Meter neben der Taverne im Fluß. Der Minister war außer sich und stürmte hinunter, um die Situation zu erfassen. Er kam bald darauf wieder nach oben und erzählte:

Die Braut sei durch einen Pakt zwischen Natascha und der La Familia entführt worden, um sie vor der Hochzeit zu bewahren. Natascha, wieder diese falsche Schlange, hätte sie mir fast einen Strich durch die Rechnung gemacht! Die Braut sei von einem Unbekannten hingerichtet und zum nahen Fluss geschleppt worden, der nun in einer magischen Art und Weise um das vergossene Blut trauerte und niemanden in die Nähe des Wassers ließ.

Laslow und Natascha trauerten. Ich zeigte meinen guten Willen, dass ich nicht nur nicht die Abreise anordnete, obwohl Laslow immer noch nicht das Problem des vorherigen Abends geklärt hatte, nein, ich bot ihm sogar den Minister als Unterstützung zur Aufklärung dieses frevelhaften Ereignisses an. Immerhin konnte er auf magische Art und Weise auf Spurensuche gehen, denn er war ein wahrhaft begnadeter Magier und Magiefinder.

So sprach er denn auch mit dem Geist der Braut und erntete dafür wiederum böse Worte wegen angeblicher Nekromantie. Ich schüttelte den Kopf ob dieser Dummheiten des Pöbels.

Doch auch seine Nachforschungen brachten nichts Neues zutage. Da hatte jemand wirklich gut gearbeitet!

Ein weiterer interessanter Besuch indessen war von einem Mann, der sich selbst als Wald- und Wiesen-Zauberer beschrieb. Der Minister horchte auf und meinte, in ihm vielleicht einen zukünftigen Kunden und Partner zu sehen. Vorzeigbar hielt dieser Mann sich an alle unsere Regeln. Er kniete sich vor mich während des Gesprächs, sah mich nicht an, sprach demütig, aber doch selbstbewusst. Er gefiel mir. Wenn doch alle Männer so wären… doch hier waren ja selbst die Frauen unzumutbar für ein Gespräch. Wir unterhielten uns lange und tauschten Informationen aus. Als Zeichen meiner Gunst überreichte der Minister ihm ein kleines alchemistisches Geschenk für dessen Frau. Ich dachte, diesen Mann werden wir noch einmal wiedersehen.

Um die Mittagsstunde trugen Laslows Bemühungen, den Konflikt des Vorabends zu klären Früchte: Die junge Dame, die sich so frech Einlass in unser Zimmer geschlagen hatte stand vor unserer Tür und bat ergebenst um Einlass. Das waren schon ganz andere Töne als noch am Tag zuvor. Ich ließ sie eintreten und sich erklären.

Als sie mit ihrer gruppe am Abend in unser Zimmer kam und wir es schließlich alle gemeinsam wieder verließen, hatte sie nicht bemerkt, dass ihre Freundinnen vor ihr aus dem Raum getreten waren und sich für ihre alchemistische Arbeit einen neuen stillen Ort gesucht hatten. Nein, stattdessen waren sie einfach unauffindbar geworden, obwohl lauthals nach ihnen gesucht wurde. So blieb für die Nordfrau nur der einzige Schluss, dass ihre Freundinnen durch einen Unfall oder eine frevelhafte Tat in unserem Zimmer geblieben seien und so wollte sie das klären und sie retten.

Auf meinen Einwand hin, dass sie doch Kontakt zu uns hätte suchen und uns bitten können ihr zu helfen wurde ihr Gesicht scharlachrot und sie gestand, dass sie ein aufbrausendes Wesen hätte und in dem Augenblick nicht daran gedacht hätte. Ich schalt sie noch ein weiteres Mal ob ihres unhöflichen Vorgehens, doch bemerkten der Minister und ich, dass sie aus freiem herzen gehandelt hatte und nicht, um uns zu kränken. Mir scheint, sie ist von ihrem Wesen einfach ein ungestümes Ding, dass unbedacht mit dem Kopf durch die Wand, oder in unserem Fall mit der Axt durch die Tür rennt.

Ich nahm also ihre Entschuldigung an und rechnete es ihr hoch an, dass sie dieses Missverständnis aufgeklärt hatte. So konnten indes die Verhandlungen mit Bruderschaft und La Familia weitergehen und ich verließ das Zimmer zum ersten Mal an diesem Tage, um mich nach unten zu begeben.

Der Lebkuchenmann strahlte mir entgegen und auch andere der Gäste nickten mir zu. Tochter schien ganze Arbeit geleistet zu haben. Ich wurde sogar angesprochen, dass es bemerkenswert sei, dass ich mich aus dem Haus wage. Viele der hier Anwesenden dachten, ich sei ein Vampir. Ich schüttelte lächelnd und ungläubig den Kopf. Wie entstanden bloß immer solche Gerüchte?

Im Raum der La Familia sollten die Gespräche zwischen den Gesellschaften weitergehen und dort sprach ich auch Don Pepone kurz auf den Vorfall der Entführung an und dass das noch Konsequenzen haben müsse. Wie sollten Verhandlungen in einem vertrauten Rahmen stattfinden können, wenn sich hier jeder hinterging? Und wie kam es nur dazu, dass hier jeder nach der Pfeife von Natascha tanzte? Er war erschrocken, tat so, als wüsste er nicht, was ich meine und gab jedoch zu, dass es zu diesem Pakt gekommen war. Wenn diese Gespräche und eine Einigung zwischen uns allen nicht so wichtig wäre… ich hätte längst diesen Ort der Barbarei, Lügen und Ehrlosigkeit verlassen!

Die Verhandlungen waren besser als noch am Vortag und wir kamen langsam voran. Ein Plan nach dem anderen kam auf den Tisch und wurde wieder verworfen, erneut hervorgeholt und geprüft. Wir ließen uns nicht stören, selbst, als lauter Tumult in der Taverne erklang, weil zwei augenscheinlich von Drogen zerstörte Personen auf der Suche nach Nachschub waren.

Ich bemerkte, dass die La Familia sich nicht zuständig fühlte. Sie würde nur Substanzen verkaufen, die nicht so eine Wucht auf Körper und Geist hätten – Hier sei ein Fremder am Werk, der sich zufällig mit ihrem Geschäftsfeld befasste. Ich ließ das mal so stehen. Würde hier Jemand mit magischen Artefakten handeln, hätte der Minister das längst herausgefunden und ihn zu einem der unseren machen lassen. Wir ließen uns nicht ins Geschäft mitmischen. Schlechte Geschäfte konnten zu einem schlechten Ruf führen. Das würde ich niemals zulassen. Der Clan geht sehr bedächtig mit seinen Geschäften, Partnern und Konkurrenten um.

Ein zweiter Tumult ließ sich dann jedoch nicht mehr ignorieren. Es wurde lauthals nach Laslow und mir verlangt und als wir aus dem Zimmer traten, standen rot-weiße Wachsoldaten vor uns. Der Hauptmann wiederholte, dass er hier sei, um Laslow von der Bruderschaft und die Matriarchin des Clans wegen Hochverrats am König und Lande festzusetzen. Ich war sprachlos! Wer hatte uns verraten? Ich drehte mich um und sah Don Pepone ins Gesicht, der gleichsam erschrocken in die Menge starrte. Verräter! Oder war es Natascha gewesen? Die einen ewigen groll gegen mich hegte. Wollte sie ihren Mann loswerden, um an seiner Statt die Bruderschaft zu beherrschen?

Laslow tat einen Schritt auf den Hauptmann zu. Der Minister flüsterte mir zu, er würde mich befreien. Ich drückte seine Hand und folgte Laslow. Hier, in der engen Taverne konnten wir nichts machen. Wo war Tochter? Es wäre gut, wenn sie mich begleitete um aus dieser Misere schnell wieder herauszukommen.

Wir traten vor die Tür. Nur wenige Schritte weiter, ich kämpfte mit dem Gedanken meinen Dolch zu ziehen und ihn dem Hauptmann in den Hals zu rammen, zog Laslow sein Schwert. Die Miliz hatte uns nicht unserer Waffen beraubt. Alle stürzten sich auf ihn. Ich hob die Hände, ich wollte nicht in das Getümmel gezogen werden und hoffte, still und heimlich zur Seite gehen und fliegen zu können. Doch der Hauptmann trat auf mich zu, sagte etwas von „Tot oder lebendig!“ und hob sein Schwert.

Ich stand starr vor Schreck, hilflos, ohne Waffen, ohne die Tochter, die sich hätte vor mich werfen können, ohne den Minister, der mich mit einem starken Zauber hätte schützen können. Es war ein Fehler, alleine mitzugehen. Ich hob die Arme, da spürte ich schon den schweren Schlag in meinem Genick. Keine Kraft mehr für einen Schrei, als mein Körper auf den Boden fiel. Ein zweiter Schlag und meine Sinne…. Waren fort.

Ich höre die Stimme… sie spricht zu mir. Lockt mich aus dem Dunkeln hervor. Leise, dann stärker. Eine Männerstimme, die mir irgendwie bekannt vorkommt. Ich öffne die Augen, es ist dunkel. Nur ein kleines, diffuses Licht scheint vor mir. Ich kann den Mann nicht sehen. Wo bin ich? Es riecht nach Tod. Mein Hals fühlt sich warm und irgendwie falsch an. Ich fasse dorthin. Erkaltendes Fleisch. Ich atme schwer, ich habe Angst. Der Mann spricht zu mir. Was will er? Wer ist es? Er sagt, er hat mich zurückgeholt. Sie haben mir fast den Kopf abgeschlagen. Tot. Ich bin tot. Ich war auf dem Weg zu meinem Vater. Wieso bin ich hier?

Vor mir liegt die Leiche der Braut. Ich kann sie riechen. Ich bin im Keller der Bruderschaft. Langsam gewöhnen sich meine Augen an das wenige Licht. Doch der Mann lässt mir keine Zeit. Schnell und schneller stellt er seien Fragen, steht immer wieder auf und trinkt etwas von dem alchemistischen zeug, das hier herumsteht. Ich erkenne ihn, der hier auf nekromantische Weise seine Kräfte einsetzt.

Er fragt mich viele Dinge. Ich bin es gewohnt, nicht direkt zu antworten, doch er wird wütend. Seine Stimme wird lauter, sie schallt und bebt in meinem Kopf. Ich halte mir die Ohren zu. Seine Stimme, eiskalt, sie zwingt mich zu Boden. Er greift mit unsichtbarer Hand in meinen Nacken, beugt meinen Rücken, zwingt mich zu tun, was er mir sagt. Und so erzähle ich ihm alles:

Dass ich keine besondere Frau bin mit magischen Kräften oder dunkler Vergangenheit, obwohl das alle glaubten. Ich bin weder ein Vampir, noch ein anderes finsteres Wesen. Ich bin lediglich eine Geschäftsfrau mit einer großen Gesellschaft in meinem Rücken, einem großen Magier an meiner Seite, der die Geschäfte für mich leitet und einer Vampirin, deren Herz ich besitze, um sie steuern zu können. Das einzige, das man mir anlasten könnte sei der Tod der Braut. Sie musste sterben als Rache an Natascha, die meinen Vater vor Jahren hat umbringen lassen. Auge um Auge, Blut um Blut. Nur deshalb hatte ich den Handel mit der Hochzeit vorgeschlagen. Niemals würde ich den Minister von meiner Seite schicken. Alles andere, Entführungen, Verstümmelungen, Drogenmissbrauch oder Spielereien waren allesamt von der Bruderschaft und der La Familia inszeniert worden.

Der Mann ist enttäuscht. Ich fürchte mich, dass er es an mir auslässt. Sage, dass ich ihn fürchte. Er nimmt mir das übel. Sei er doch immer höflich zu mir gewesen. Und dann erzählt er mir, was geschehen war, nachdem ich den Tod begrüßt hatte:

Der Minister in einem verzweifelten Wahn war in den Turm gestürzt, hatte sämtliche Artefakte, die wir zum Handeln mitgebracht hatten hervorgeholt und ein großes Blutritual durchgeführt. Er verfluchte das Land, die Menschen, die Zeit, die Welt und den König, setzte die Seelensteine ein, richtete sich selbst und vergoss all sein Blut, um den Zauber an diese Erde zu binden. Mit explosiver Macht würde dieser Fluch über das Land fliegen und all jene richten, die sich uns in den Weg gestellt hatten. Der Gute. Der Treue. Der Magier wollte noch versuchen auch ihn zurückzuholen, wie er es bei mir getan hatte, doch der Minister hatte seine treue Seele geopfert, die fortan nicht wieder herstellbar war. Wo auch immer er nun zwischen den Welten dahindämmerte, ich würde ihn niemals wieder an meiner Seite haben…

Des Weiteren hatte die Tochter die Schatulle mit ihrem Herz gefunden und an sich genommen. Der Zauber, den der Minister darauf gelegt hatte, würde sie nicht treffen können. Sie war nahezu unbesiegbar, solange dem Herz nichts geschah. Sie könnte die Schatulle nun irgendwo verstecken und ohne einen Meister durch die Welt wandern. Zerstörung und Wahnsinn würde sie über das Land bringen. Nur der Besitzer ihres Herzens war ihr Meister und nur ihm war sie verpflichtet. Ich greife an meinen geschundenen Hals, suche nach dem Amulett… Es ist fort. Hatte sie es genommen? Oder der Mann? Hatte ich die Kette auf dem Hof verloren? Darin war die Kennung des Schlosses verborgen, das die Schatulle des Herzens verschloss. Der einzige Weg, ihr Herz zu befreien.

Die Bruderschaft und die La Familia waren indessen abgereist. Wie verstohlenes Getier flüchteten sie vor der Miliz. Wir würden niemals zu einer Einigung kommen. Das Land würde unter dem König verfallen, von dem Blut des Ministers getränkt. 

Und schließlich, als keine Fragen mehr offen sind fragt mich der Mann, ob er mir dieses Leben erhalten oder wieder nehmen soll. Die Entscheidung überlässt er mir. Er kenne durchaus Menschen, die damit gut zurechtkämen. Auch, mit dem Viehzeug und Verfall, das von dem Körper Besitz ergreifen würde.

Meine Entscheidung treffe ich schnell. Was will ich noch in diesem leidgeplagten Land? Ohne den Minister? Ohne die Tochter? Als Untote einen Clan anführen, dessen Verhandlungen ohnehin gescheitert waren. Die Zukunft sah finster aus. Für den Clan. Für mich. Und im Dunkeln wollte ich nicht leben. In der Hoffnung, dass das nächste leben weniger dunkel sein mag.

So bitte ich ihn, den Nekromanten: Er möge mein Leben wieder auslöschen, wie eine Kerze, die nur kurz wieder angefacht worden war. Und er möge meinen Leib, wie den des Ministers dem Feuer übergeben. Auf dass damit kein Schindluder getrieben werden sollte.

Er sieht kurz traurig aus. Ich habe das Gefühl, dass er trotz seiner finsteren Künste lieber jener ist, der ein Leben erhält. Doch nickt er mir im Dunkeln zu und reicht mir seine Hand. Warm ist sie und stark. Ich halte mich daran fest, lasse mich vertrauensvoll führen. Er spricht leise zu mir. Seine Stimme ist nicht mehr kalt, sondern warm und leise. Meine Augen werden schwer. Mein Kopf wird leicht. Ein leises Rauschen durchdringt meine Ohren als ich meinen Körper langsam niederlege und mich schließlich seine Hand verlässt und warme Dunkelheit sich über meinen Geist legt.

Schreibe einen Kommentar