Tagebuch Eden Amar 6

Tagebuch von Elder

Gefangen. Ein seltsames Wort, wenn es einen selbst betrifft. Ich war noch nie gefangen, verletzt öfter ja, aber noch nie gefangen. Wir waren nicht in einem Raum eingesperrt, konnten uns mehr oder weniger frei in der Stadt bewegen und doch … Es war kein schönes Gefühl, obwohl es uns noch eine Weile lang besser ging als vielen anderen. Aber unsere Vorräte waren aufgebraucht und schon lange schmiedeten wir Pläne. Besonders der junge Henna entwickelte düstere Fantasien, die er nur zu gerne in die Tat umsetzen wollte. Allerdings verhinderte Ekarius dies regelmäßig, nicht weil er feige war, weit gefehlt, er hatte einfach die notwendige Weitsicht. Doch wie war es dazu gekommen?

Das Chaos hatte die Stadt besetzt und wir waren ihnen nichtsahnend in die Arme gelaufen. Nebel lag über den Landen, wir ruderten stromaufwärts, und die meisten von uns dachten sich nichts bei der Stille. Schließlich ist es immer still, wenn dichter Nebel herrscht oder nicht? Auch das klamme Gefühl, beobachtet zu werden, ignorierten wir, denn auch das waren Anzeichen des Nebels. Doch als die Nebel ihre Schleier hoben, sahen wir uns von grimmigen Kriegern des Chaos umzingelt. Eine Gegenwehr wäre nicht nur hoffnungslos, sondern auch völlig sinnlos gewesen.

Alle mussten ihre Waffen abgeben, eine Tatsache, die so manchem sauer aufstieß und die zu viel Gewalt führte. Selbst das tragen von Rüstungen wurde verboten, wer sie dennoch trug, riskierte zumindest Schläge, wenn nicht schlimmeres.

Die beiden Chaos Kommandanten, die über die Stadt herrschten, machten deutlich, dass sie keinen Spaß verstanden. Der größere der beiden zog mit Schlägertrupps durch die Stadt und knüppelte alles nieder, was sich zu schnell oder zu langsam bewegte. Der jüngere schien auf seltsame Weise noch grausamer zu sein, denn bei ihm wusste man nie, woran man war. Vielen Heilern wurden auch ihre Taschen geleert, meine hatte man wohl einfach übersehen.

Wie man allerdings übersehen werden kann, wenn man 180 cm groß ist und rote Haare hat, weiß ich auch nicht. Doch ich beschwere mich nicht darüber, denn so konnte ich wenigstens ein bisschen helfen.

Sie ließen uns hungern, die Verzweiflung ging um, immer mehr Katzen und Hunde verschwanden und einige dachten ernsthaft darüber nach, Regenwürmer zu essen oder Blätter von den Bäumen. Hauptsache es würde den Magen füllen.

Eine Wende ergab sich erst, als die Knochenwalder mal wieder einen Ausbruch versucht hatten und der kleinere der beiden Kommandanten ein Gespräch mit Ekarius…nun ja suchte. Eigentlich befahl er es eher, doch nicht nur mit Ekarius, auch mit den Anführern der anderen Stadtteile. Wir alle befürchteten, dass es eine Falle sein könnte und so wollte ich mich heimlich anschließen, doch der Kommandant winkte uns alle in das Teezelt der Orientalen.

Ganz zivilisiert nahmen wir Platz und es gab Tee und Kekse. Kekse! Wir hungerten seit unserer Ankunft und hier gab es Kekse. Ich versuchte einige einzustecken für Mara, der es wirklich nicht gut ging, doch ein scharfer Blick von Ekarius ließ mich innehalten. Ich schwor mir, dass ich nicht ein Wort sagen würde, das meine vorlauten Worte mich diesmal nicht in Schwierigkeiten bringen würden. Der Weibel des Barons und der Kommandant sprachen einige Zeit miteinander, und wäre er nicht unser „Kerkermeister“ gewesen ich hätte ihn sympathisch finden können. Zumindest schien er an dem Abend vernünftig und zugänglich zu sein. Doch als der Kommandant darüber redete, dass er doch eigentlich noch nett zu uns sei, konnte ich mir ein entrüstetes Schnauben nicht verkneifen.

Ekarius nutzte diese Gelegenheit dazu, den Kommandanten darauf hinzuweisen, das die Menge an “sich seltsam auf dem Boden krümmenden Personen” nicht dazu beitragen konnte, irgendeine Art des geforderten Respekts gegenüber dem Glauben des Chaos an den Tag zu legen. Zu meiner Überraschung versprach der Kommandant dafür zu sorgen, das sich die Anzahl der „sich krümmenden“ verringern würde.

Da brach es aus mir heraus, das es nicht half, die krümmenden zu verringern, wenn wir Heiler sie nicht verarzten durften. Irgendwie erwartete ich in dem Moment, niedergeknüppelt zu werden, doch nichts geschah. Stattdessen traf mich ein nachdenklicher Blick des Kommandanten und ich erhielt die Erlaubnis, die Verletzten zu versorgen. Ein Geschehen, das mich für einen Moment sprachlos ließ, doch nur einen Moment, dann forderte ich meine Kräutersichel zurück, doch das wurde strikt abgelehnt.

Aber dieses Zugeständnis des Kommandanten sorgte in Zusammenhang mit meiner Dreistigkeit dafür, dass ich noch in derselben Nacht Sir Edward das Leben retten und Idanrel vor dem Gefängnis bewahren konnte. Eigentlich sollte das Narbenmädchen wieder hinter Gitter, doch es gelang mir die Aufmerksamkeit des Kommandanten durch einen lauten Ruf zu ergattern. Ich bat ihn um die Freilassung Idanrels mit dem Hinweis, dass seine Leute schon genug Spaß mit ihr gehabt hatten und ihre Knochen schon gebrochen waren. Wie immer undurchdringlichen Gesichts hörte er sich meine Worte an und ließ die kleine Spionin frei. Nur wenige, abgesehen von seinen Wachen, hörten den letzten Satz. Tatsächlich bürgte ich mit meinem Kopf dafür, dass die beiden die Nacht unbehelligt in ihrem Lager verbringen konnten. Bald lernte ich ein neues Wort und dessen Bedeutung.

Kollaborateur

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