Gemeinsam mit Henna bestieg ich in Siebenhöfen das Schiff nach Theotmund. Ich wollte mich dort mit einigen Kaufleuten treffen, um die Taverne voranzubringen und weitere neue Kontakte zu schließen. Auf der Rückreise würde ich schon in Gergonsmund von Bord gehen, um mich dort gemeinsam mit Herrn Böttcher auf die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten in der buntesten Stadt der Kaufmannslanden zu machen.
Dass wir in Theotmund auch auf einige unserer Freunde treffen würden, versüßte mir diese Reise nur umso mehr.
Es war stockdunkel und bitterkalt, als wir auf Westfora an Land gingen und ich wickelte mich tief in meinen Mantel hinein. Auf dem Schiff hatten wir bereits Elder und Freya getroffen, sowie einen Schmied aus Plundersweiler namens Bruno. Wir suchten uns in der Taverne einen freien Platz nahe des Kamins und ich sah mich nach bekannten Gesichtern um. Herrn Tannweiler hatte ich schon gesichtet und nahm mir vor, ihn im Laufe des Abends aufzusuchen. Außerdem waren einiger der Zahlenräuberbande da, Ashrak mit Thorrik nickten uns zu und ich erkannte auch einige der Landsknechte, die ich vor Kurzem mit Freya im Bergwerk getroffen hatte.
Aber es waren noch so viele andere da, ich noch nie gesehen hatte! Ein Professor Doktor Doktor mit sehr großem Hut unterhielt sich lange mit Elder und mir über besondere Substanzen. Er erzählte, dass er in einer Akademie Lehrgänge führte und ich stellte mir vor, dass er in Gergonsmund neben dem Majestro eine Unterrichtsstunde über Farben und deren Zusammensetzung halten könnte.
Ein anderer Doktor Doktor Doktor -unendlich war auch zugegen. Er sah recht wunderlich aus mit seinem geknickten Hut, an dessen Spitze ein kleines Vogelhäuschen hing und stellte sich uns als Magnus Viertel vor Zwölf vor, ein Kenner der magischen Vorgänge. Er erklärte mir den Zusammenhang von verschiedenen Dimensionen und dass er durch das falsche Hosenbein gegangen und deshalb nun hier sei. Ich war sehr verwirrt, lauschte aber konzentriert seiner Ausführung. Wer weiß, wofür man solch ein Wissen nochmal braucht!
Einmal trat Kapitana Ava zu mir und drückte mir etwas in die Hand. „Ein Geschenk.“ Sagte sie, zwinkerte und ging wieder fort. Ich öffnete meine Finger und fand dort zwei große Goldklumpen, die schwer in meiner Hand wogen. Verwundert schaute ich hinter Ava her, die jedoch schon weg war. „Sind das wohl Goldzähne von einer Zahnfee?“ fragte ich, denn wir hatten uns gerade darüber unterhalten. Das müsste ich beizeiten mal untersuchen lassen, dachte ich und steckte diesen kleinen Schatz in meine Tasche.
Bruno sprach mich darauf an, dass er im Hafen gehört hätte, dass es ein trockener Sommer gewesen sei und die Getreidevorräte für den Winter nicht besonders gut ausgefallen seien. Für meine Taverne, sagte er, sei es doch wichtig, dass ich einen Vorrat anlegen solle, damit ich immer Mehl für Gebäck habe und am besten schnell, bevor die Preise ins Unermessliche stiegen. Er erklärte sich dazu bereit, mir eine Eisentruhe zu schmieden, mit Löchern zum Atmen, in der man das Getreide trocken und sauber lagern könnte, ohne dass sich Ratten oder andere daran vergreifen. Wie lieb von ihm! Ich freue mich: Er macht sie bestimmt sehr kunstvoll mit hübschen Bildern an der Seite und einem großen Deckel, auf den man sich setzen kann.
Die Gespräche gestalteten sich allerdings an diesem Abend sehr schwierig. Die Taverne war voll und es war unglaublich laut. Überall wurde gelacht und geweint und gefeiert. Ein Gespräch zu zweit war schon schwierig, gesellten sich noch mehr dazu wurde es fast unmöglich irgendwelchen Ausführungen zu folgen. Einfacher wäre es gewesen, einfach zu spielen und zu zechen. Doch das Würfeln war verboten. Denn die Tyra Lorena hatte einen Nebenraum gepachtet, der an diesem Abend ein Casino sein solle – Ein echtes Monopol für diese Zechmeister.
Gerade, als wir für uns entschieden hatten einmal nachzusehen, ob sich das Spiel dort lohnte, kam ein gewisser Otto herein. Mit heiserer Stimme tönte er von der Ausrufbühne, dass besondere Gäste zu erwarten seien. Und wenige Augenblicke trafen diese auch ein. Als ich sah, um wen es sich handelte, stockte mir der Atem. Durch die Tür trat ein großer, rotgewandeter Mann mit schwarzer Augenmaske und einer wirklich bösen Aura um sich herum. Er stolzierte in den Raum, gefolgt von einer Frau, die mir auch bekannt vorkam – Victoria. Doch ich sah niemand anderen mehr als ihn: Es war Krieg.
Es kamen immer noch mehr Leute in den Raum, es wurde eng und enger und ich saß an der Wand und suchte nach einem Weg nach draußen. Ich stellte mir vor, was passieren würde, wenn Krieg seine Macht demonstrierte. Im Verwunschenen Wald hatte er mehr als einmal seine Gegner in die Flucht geschlagen. Ob durch Dominanz, Schmerz oder das mächtige Führen seines Schwertes: Er schwang es mit einer Leichtigkeit wie meine Mutter das Buttermesser und drang damit einfach durch Haut, Fleisch und Knochen und machte jeden in seiner Nähe nieder. Ich schluckte.
Dann schob ich Freya zur Seite, murmelte nur „Ich muss hier raus!“ und stürmte zur Tür. Ganz hinaus wagte ich mich auch nicht, denn ich kannte meine Freunde: Freya und Elder mischten sich allzu gern in falsche Angelegenheiten ein und ich musste mir dann schließlich um sie die Sorgen machen. So stand ich nun hin- und hergerissen in dem dunklen Flur und versuchte zu Atmen. Einige sahen meine Panik, kannten aber Krieg selbst wohl noch nicht. Also gab ich ihnen bereitwillig und stotternd den Rat, auch bei der Tür stehen zu bleiben, damit man schnell fliehen konnte. Meine Füße haben mir im Sommer auch mehr als einmal die Flucht schaffen lassen. Bruno und ein sympathischer fremder Reptilienforscher gesellten sich zu mir in die Nähe der Tür.
Ich bekam jedoch nicht mit, was in dem Raum geschah. Es waren zu viele Leute dort. Hin und wieder fiel ein Schuß. Einmal stürmte Kapitana Ava an mir vorbei ins Freie und drückte mir noch eine von Veiculos Bomben in die Hand. Ich lief hinter ihr her, bis sie im Wald verschwand. Ein Schrei ertönte und ich lief schnell wieder ins Haus, um die Crew zu informieren.
Als ich dort wieder an der Türe stand sah ich schließlich, wie Krieg sich auf den Ausgang zu bewegte. Ich stöhnte auf und öffnete die Tür. Voller Panik lief ich aus dem Haus. Kopflos. Ich dachte an nichts mehr, außer daran, dass dieser mächtige Mann mir bloß nicht zu nahe kam. Bruno stellte sich direkt links ans Feuer, um ihm aus dem Weg zu gehen, doch ich sah darin nur eine weitere Sackgasse. Ich lief in den Wald, versteckte mich hinter zwei Weidenbüschen und zitterte wie Espenlaub – wegen der Kälte und wegen der unbändigen Furcht. Krieg ging nur wenige Meter an mir vorbei. Ich weiß nicht, ob er mich gesehen hat, mir kam es vor, als sei mein Versteck hell erleuchtet. Doch was sollte er auch schon von mir wollen…
Dennoch… dass er hier war, während so viele von uns fröhlich zechend das Jahr ausklingen lassen wollten, die letzten Geschäfte abschließen, ein weiteres Mal ihre Freunde umarmen wollten. Das machte mir große Angst. Ich konnte mich nicht beruhigen. Ich traute ihm nicht über den Weg. Und bedenkt man nur, wie lange meine Freunde gebraucht haben um wieder zu sich zu finden, nachdem sie seinen Fängen entkommen waren, so ist das doch sehr wohl eine einleuchtende Erklärung für meine Angst.
Ich lief kopflos fort. Bis hinunter zum Schiff, wo ich frierend an Bord ging und auf die Rückkehr von meinen Freunden wartete. Ich war völlig erschöpft und schlief, trotz des schlechten Gewissens, dass ich meine Freunde nun allein gelassen und keins der geplanten Geschäfte habe abschließen können sehr schnell ein. Den Hund hatte ich unterwegs auch verloren. Doch brachte mir eine Freundin von Freya ihn später mit zum Schiff – Sie hatte ihn im Wald vor der Taverne gefunden als ich an ihr vorbei gestürmt war.
By Anka