Ulwards Geheimnis

Es war ein Tag wie jeder andere. Der nahende Winter hatte die Sonne früh untergehen lassen und ein leichter Nebel lag in der Luft. Es war feucht, klamm und ungemütlich. Menschen mit mehr Fantasie hätten wahrscheinlich in jedem Schatten und Geräusch etwas gesehen, aber nicht Ulward. Er war ein bodenständiger Bauer, fest verwachsen mit der Scholle und er kannte das Land. Leute, die behaupteten, Dinge gesehen zu haben, waren seiner Meinung nach alle nicht beschäftigt genug, so dass sie sich interessant machen mussten. Doch Ulward ging einfach gemächlichen Schrittes hinter seinen Ochsen her, die ihm während des Tages und bis nach Einbruch der Dunkelheit geholfen hatten, die Felder für das Winterkorn zu pflügen.

Sie kannten den Weg zurück ins Dorf Irgends ebenso gut wie er selbst, er brauchte sie nicht lenken und hätte irgendwelchen Gedanken nachhängen können, aber so ein Mensch war er nicht. Die Arbeit war getan und es ging nach Hause.
Plötzlich blieben die Ochsen stehen und Ulward wäre fast mit ihnen zusammen gestoßen. Als er einem von ihnen mit der Hand auf das knochige Hinterteil schlug, konnte er fühlen, dass das große Tier zitterte.
“Na na, was ist denn los?“ murmelte er mit seiner dunklen Stimme und sah an dem Ochsen entlang nach vorne auf den Weg. Er war nur noch eine halbe Wegstunde von seinem Dorf im Kontor Akede entfernt. Bären gab es seit Jahren nicht mehr in Akede, schon garnicht nicht die verfluchten Soodenwölfe. Oder etwa doch?Lauerte dort eine dieser unseeligen Kreaturen, von denen er in der Taverne gehört hatte? Das wäre schlecht, denn außer einem Knüppel für die Ochsen hatte Ulward keine Waffen. War dort ein Licht? Etwas leuchtete doch! Ulward zog die Brauen zusammen und versuchte, etwas in dem dichter werdenden Nebel zu erkennen. Er meinte, ein schwaches Leuchten, wie von einer weit entfernten Laterne wahrzunehmen.
Aber rufen würde er nicht, nein, würde er nicht und zwar aus zwei Gründen:
Zum einen käme er sich wie ein Narr vor, würde er rufen und da war nichts außer einer Frau aus dem Dorf. Und zum anderen schluckte der Nebel die Geräusche sowieso.
“Los Jungs, der Stall wartet“ brummelte er, ging an die Köpfe der Tiere, griff ins Halfter und zog an den Ochsen. Die Tiere vertrauten ihm und ließen sich überreden, weiter zu gehen. „Geht doch“ murmelte er erneut und führte die Tiere nun. Er hätte niemals zugegeben, dass er die Umgebung nun doch aufmerksamer beobachtete als zuvor. Es wurde immer stiller, der Nebel immer dichter. Doch der Boden unter seinen Füßen war fest und eben, er wusste, er war auf dem richtigen Weg.
Als die Tiere wieder stehen blieben, blieb auch Ulward zwangsläufig stehen, hatte er sie doch geführt. Sie waren nicht weit gekommen. „Jetzt reicht es aber, ihr kriegt den Stock zu spüren, wenn ihr nicht weitergeht“ normalerweise redete Ulward nicht so viel, vielleicht hatte die Unruhe der Tiere ihn doch angesteckt. Unbehaglich rollte er die Schultern, als einer der Ochsen ein leises, zitterndes Blöken von sich gab.
Es wäre bestimmt besser, weiter zu gehen, vielleicht sogar zu rennen, denn der Soodenwolf machte keinen Unterschied zwischen Tieren und Menschen, doch in einem verqueren Anflug von Treue konnte Ulward die Ochsen nicht stehen lassen. Immerhin waren sie auch wertvoll. Was einem Ritter sein Schwert war, waren Ulward die Ochsen.
Ihm war nicht danach, die Tiere zu schlagen, doch er konnte kaum noch etwas sehen. Etwas kroch ihm durch die Kleidung und verursachte eine Gänsehaut. Ulward rollte ein zweites Mal mit den Schultern, stemmte die Füße in den Boden und zog an den Ochsen. Doch etliche hundert Pfund verängstigtes Fleisch bewegt sich gar nicht oder so schnell, dass es alles niederwalzt. In diesem Fall bewegte sich gar nichts, die Tiere blieben stehen wie festgenagelt.
Ulward wäre der letzte gewesen, der irgendwas auf irgendwelche Ahnungen gab, doch jetzt fühlte er etwas aufsteigen, das er nur mit einer ganz bösen Ahnung und auch Angst vergleichen konnte. Etwas kribbelte ihm im Nacken, er sah in den angstgeweiteten dunklen Augen der Ochsen ein schwaches Leuchten hinter sich. Er wollte sich nicht umdrehen, nein, auf keinen Fall würde er sich….
Auf einmal drehte er sich doch um, stand mit dem Rücken an die Tiere gelehnt und starrte in den Nebel aus dem ein unheimliches rotes Leuchten kam. Er konnte den Blick nicht abwenden, fühlte sich gleichermaßen fasziniert und verängstigt, wollte weg und konnte sich doch nicht rühren.
Das Licht kam näher, definitiv rot, definitiv keine Laterne aus dem Dorf.
Eine unheilige Kälte kroch in Ulwards Beinen hoch und er konnte ein Zittern nicht mehr länger unterdrücken.
Aus dem Nebel schälte sich eine Gestalt oder doch nicht? Meinte er nur eine Gestalt zu sehen, weil Augen ohne Körper noch viel gruseliger waren? Doch die Augen, die auf ihn zukamen, waren da, leuchtend rot, sie glühten und zogen ihn in ihren Bann. Er fühlte noch, wie er die Ochsen losließ und einen Schritt vorwärts machte.
Noch einen.
Nein, ich will nicht.
Ich muss.
Nein, nein, das ist nicht gut. Noch ein Schritt und noch einer.
BLEIB STEHEN!“ schrie etwas in ihm doch er ging weiter auf die roten Augen zu. Bildete er sich das ein oder tauchte ein wunderschönes Gesicht aus dem Nebel auf und lächelte ihm zu? Er ging noch einen Schritt und fühlte wie seine Füße den Boden verloren, hörte noch die Ochsen angsterfüllt brüllen und wie ihre Hufe auf dem Boden trommelten, als sie davon rasten und dann nichts mehr. Die roten Augen füllten seine Augen, sein Denken, seine Existenz. Schwerelos bewegte er sich auf etwas zu, durch etwas hindurch und was dann geschah….

So fand man ihn, mit offenem Mund, er wollte noch immer schreien, doch seine Stimme hatte keine Kraft mehr. Der große kräftige Mann lag wie ein Häuflein Elend auf dem Weg, seine einst dunklen Haare schlohweiß.

Das ist jetzt einige Wochen her, seine Familie und Freunde brachten ihn letztendlich in das Hospiz der Lucretianerinnen, in der Hoffnung, man könne ihm dort helfen. So zusammengekrümmt wie man ihn gefunden hatte, lag er auch auf dem Bett, verweigerte jede Nahrung, schloss seine Augen nicht und starrte in das Nichts. Nur einmal reagierte er, als eine junge Novizin mit einer rot abgedunkelten Laterne durch die nächtlichen Schlafsäle ging. Sein Kreischen ging durch Mark und Bein, er musste mit Gewalt gebändigt werden.
Kurz darauf verstarb er.

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