Ein fremder, jedoch gut gewandeter Wanderer liegt reglos mit dem Gesicht zum Boden auf einem Wanderpfad. Ein Pfad, der vom höchsten Hardemunter Norden, gen Süden hinabführt.
Der Wanderstock ist achtlos zu seiner Rechten herniedergefallen. An diesem Wanderstock ein feinsäuberlich befestigter Beutel. Regen, Schmutz und Sonne haben ihm ihre eigene Geschichte aufgedrückt.
In der Umgebung ist kein Unhold auszumachen und der Wanderer scheint nicht erschlagen zu sein.
Der Himmel ist sich uneinig, ob er helles Licht der Sonne herniederbringen, oder doch besser das Nass der Wolken herabregnen solle. Der Wald umher lässt Vogelgezwitscher und Spechtgedengel erklingen.
Langsam nähert sich Hufschlag, kurz darauf taucht auch der Reiter mit seinem Pferd auf. Die leuchtend blaue Jacke des Reiters macht schnell klar, dass es sich um einen der Ratsinspektoren handelt. Tatsächlich ist es Kièlo von Akede, Schülerin von Ulfried Wieden, dem bekanntesten Ratsinspektor Trums.
In einigen Schritt Entfernung von dem am Boden liegenden stoppt sie das Pferd und wünscht sich wieder einmal dass sie eine Waffe hätte. Das ganze scheint doch sehr einem der Überfällte zu ähneln von denen sie schon oft gelesen und gehört hat.
Doch was wenn nicht? Was wenn der Fremde Hilfe braucht? Seufzend steigt sie vom Pferd, streckt sich einmal kurz, schaut sich noch einmal um, ob etwas verdächtiges zu sehen ist und nähert sich vorsichtige dem Mensch am Boden.
Mit einem leisen Zischen hält Gabrielle die Luft an. Die Blaue Kutte der Person, die nur wenige Schritte vor ihr vom Pferd gestiegen ist, kommt ihr durchaus noch bekannt vor. Nur wenige Mondläufe zuvor hat sie mit eben jener Person in einer Taverne hinter vorgehaltener Hand geredet. Dass sie sich unter solchen Umständen wieder treffen, könnte für Gabrielle zu ernsthaften Problemen führen.
So leise wie nur eben möglich, rutscht sie auf dem weichen Unterholz noch ein Stück nach hinten, weg von der Lücke im Geäst, die ihr die Sicht auf den Weg und die dort am Boden liegende Gestalt offenbart.
Stoppt kurz und dreht den Kopf, war da etwas? Nein und selbst wenn, Kièlo kann hervorragend lesen und schreiben, aber nur auf dem Papier, die Spuren der Natur weiß Sie noch nicht so gut zu deuten, wie es für einsame Ritte über Trum besser wäre. Dennoch sieht sie davon ab, etwas lächerliches wie “ ich habe eine Waffe und ich werde sie benutzen“ zu sagen. Nein, das wäre wirklich lächerlich.
Das Pferd wird festgebunden, dann geht sie zu dem Fremden, und beschließt ihn erst einmal mit dem Fuß anzustupsen, während sie zwischen verschiedenen Gedanken hin und her schwankt. Wäre es gut wenn er tot ist? Ja, denn kann er sie nicht angreifen, andererseits, ist er tot ist der Mörder noch in der Nähe? Ist er verletzt was dann? Dann braucht er einen Heiler und keinen Ratsinspektoren Anwärter.
Er reagiert jedoch nicht auf das anstupsen, woraufhin sie sich auf ein Knie sinken lässt und versucht einen Puls zu fühlen…
Ein Puls ist wohl zu spüren. Obgleich er seicht, beinahe schwach erscheint. Die raue Haut und die Maserung der Adern lassen das Alter des Mannes gewiss auf dreißig Sommer schätzen. In der rechten, zur Faust geballten Hand hält er ein Stück Stoff. Sonderlich an diesem Stoff ist, dass es bloße Baumwolle in Beige ist. Doch darin sind Flecken zu erkennen, die darauf schließen, dass der Stoff etwas umgibt.
Der Wanderstab trägt Runen und zeichnet Merkmale auf, die vermuten lassen, dass dutzend angeklebter Firlefanz daran abgerissen wurde. Wer den Blick zum Beutel schweifen lässt, erkennt, dass auch dieser aus jenem Beigestoff gewebt scheint, wie der Fetzen in der rechten Hand. Was in dem Beutel verborgen liegt findet wohl nur der besonders neugierige heraus.
„So so, du lebst noch Fremder“ murmelt Kièlo, erhebt sich, geht wieder zurück zum Pferd und holt den Wasserschlauch, wobei sie sich ständig umsieht für den Fall, dass es doch eine Falle ist. Bei dieser Gelegenheit fällt ihr auch das seltsame aussehen des Stabes auf. Ist der Fremde vielleicht ein Priester? Schlimmer noch, ein Magier? Nachdenklich bleibt sie über dem Fremden stehen und betrachtet ihn genauer, in der Hoffnung, dass irgendetwas an im förmlich schreit, wer er wohl sein möge. „Ulfried wüsste es“ denkt sie sich und kniet erneut nieder, damit sie dem Fremden Wasser einflössen kann. Doch es ist gar nicht so leicht einen Mann mit einer Hand anzuheben, so legt sie den Schlauch zur Seite und ihr Blick fällt auf die geballte Faust des Mannes und den Fetzen darin.
Sie zieht leicht daran, doch er will seine Hand nicht öffnen. So fest wie er es umklammert hält, scheint es wohl wichtig zu sein…hm der Stoff ist identisch mit dem Beutel… Erst nachsehen? Nein, erst will sie versuchen, ihm Wasser einzuflößen. Sollte dies gelingen, wird sie sich den Beutel genauer ansehen. Die Neugierde ist einfach zu groß.
„Haltet ein!“, Kièlo kann eine ihr bekannte Stimme aus dem Dickicht vernehmen. Mit einigem Geraschel und Geknackse von Geäst, windet sich die Gestalt einer jungen Dame aus dem Unterholz. Gekleidet in einen grünen Umhang, dessen Schultern ein stattlicher Fuchspelz ziert. Sie hatte sich scheinbar nur wenige Schritte von der Szene entfernt versteckt gehalten, geht nun aber zielstrebig auf Kièlo zu.
„Ihr begeht womöglich einen großen Fehler, wenn ihr ihm helft.“ Sie deutet auf seinen Stab. „Ich bin mir sicher, dass er der Magie kundig ist und auch bin ich mir sicher, … dass er nicht erfreut sein wird, SO zu sich zu kommen. Er wird euch für den Schuft halten, der ihn so zugerichtet hat. Und mit wütenden Magiern könnt selbst Ihr nicht verhandeln, glaubt mir.“
Doch erschrocken richtet Kièlo sich halb auf und versucht das erschrecken hinter einer raschen Begrüßung zu verstecken „Gabrielle nicht wahr? Seid gegrüßt und dann sagt mir…seid ihr für seinen Zustand verantwortlich?“
Immer noch auf einem Knie schaut sie sich die Runen erneut an und überdenkt die Worte Gabrielles. Natürlich könnte sie Recht haben, in den vielen Büchern die Kièlo schon gelesen hat, tragen Magier immer Stäbe mit Runen und geheimnisvollen Markierungen. Allerdings tragen Priester ähnliche Stäbe, wenn auch die Stäbe der Ceridenpriester eher schmucklos gehalten sind. Gab es Magier auf Trum? Mit Sicherheit, auch wenn das den fanatischen Ceriden wie etwa dem Hohendahl nicht gefallen würde. Doch sie waren weit weg, irgendwo im nirgendwo und wer auch immer der Fremde war, noch lebte er. Und Kièlo ist keine Henkerin.
Nach einigen Momenten des Überlegens schüttelt sie den Kopf. Verdammte Sturheit der Garions, Adel oder nicht, sie kam immer wieder durch.
„Er lebt noch, und wenn er glaubt, dass Ratsinspektoren hinterrücks Leute niederknüppeln, dann kann er nicht das hellste Scheit im Feuer sein.“
Nach einem Augenblick des Zögerns fügt sie hinzu:
„Schubst doch einfach seinen Stab zur Seite, so weit ich das gelesen habe, brauchen Magier ihren Stab, für den Fall das einer ist?“
So beugt sie sich wieder hinunter um dem Fremden Wasser einzuflößen.
Schon als der erste Tropfen sein Gesicht berührt, zuckt der fremde Wanderer zusammen, stöhnt auf, rollt sich zur Seite und umfasst den Wanderstab. „Nein, nehmt ihn mir nicht! Er ist kostbar. Er ist Teil der Vergangenheit und gleichsam Gegenwart.“ Als die Augenlider gehoben werden, werden grüne Augen sichtbar. „Ich habe viele Meilen hinter mir und noch viele Weitere liegen vor mir! Ihr wisst nicht, wem dieser Stab einst gehörte.“ Die Lippen des Mannes sind spröde und die Stimme klingt, als könne er wahrlich ein paar Schluck Wasser gebrauchen.
Den Kopf auf die Seite legend hört Kièlo erstaunt und leicht misstrauisch den Ausführungen des Fremden zu, wie die leicht gehobene Augenbraue beweist. Fragend blickt sie zu Gabrielle und schüttelt den Kopf „nun dann behalt ihn…“ vorerst, doch das letzte sagt sie nicht laut. Stattdessen hält sie die Wasserflasche hoch und fragt freundlich „wie wäre es mit einem Schluck Wasser? Obwohl du so aussiehst, als ob du eher einen guten Schluck Trummer Tod vertragen könntest. Der würde dir wieder Farbe ins Gesicht zaubern.“ Sie gibt ihm die Wasserflasche und sieht zu wie er einige Schlucke nimmt und zu husten beginnt. „Langsam“ mahnt sie, wie sie ein Kind mahnen würde.
„Und dann erzähl uns, was dir widerfahren ist und warum der Stab so wichtig ist, dann sehen wir weiter.“ Was dann gesehen wird oder wie die Optionen des Fremden sind, sagt sie jedoch nicht. Allerdings hofft sie, das es nicht zu einer Tätlichkeit kommt, ist sie doch mehr oder weniger unbewaffnet.
Gabrielle verschränkt mit einem genervten Schnaufen die Arme. Dass die Menschen in dieser Gegend alle so resistent gegen gute Ratschläge sein mussten. Damit war all ihre bisherige Arbeit zunichte gemacht, all das Analysieren und Beobachten. Aber sie hätte es sich bei Kièlo eigentlich denken müssen. Weiterhin beäugt sie den Mann skeptisch und rüht sich nicht von ihrem Fleck, stets in einem sicheren Abstand zu dem mysteriösen Mann.
„Dann seid ihr hier bloß aus Schwäche und Durst zusammengebrochen und nicht, weil ein Verbrechen an euch verübt wurde? Eine schwache Leistung für einen Gelehrten der Hohen Künste.“
„Ich würde auch keinen Gewaltmarsch überstehen“ sagt die angehende Ratsinspektorin scheinbar zu niemandem, während sie wieder aufsteht, den Wasserschlauch verschließt und ihre Augen auf den immer noch am Boden liegenden gerichtet hat. „Gelehrte sind selten so ausdauernd wie ihr euch das anscheinend wünscht, Gabrielle“ diesmal schwingt ein ganz leichter Tadel in Kièlos Worten mit, als sie wie zufällig ihren Fuß auf den Stab stellt. Schließlich weiß man ja nie oder?
„Man ruft mich Nathan“, erklärt der Fremde Wanderer und versucht sich langsam aufzurichten. Den Stab vorerst am Boden lassend. Er klopft sich den Staub aus den Beinkleidern. „Ich bin mit der Aufgabe betraut diesen Stab an den Hüter der neuen Eiche zu übergeben. Doch sicher wisst Ihr weder davon, wen ich damit anrufe, noch von wem ich diesen Stab stahl.“ Er blickt neugierig erst Gabrielle, sodann Kièlo in die Augen. „Im hohen Norden gehen Dinge vor, die Ihr Euch nicht mit den finstersten Nachtmahren erträumen mögt. Wenn dieser Stab sein Ziel erreicht, so wird all diese Finsternis dem Licht weichen, das wäre unausweichlich. Ich weiß um die Macht des neuen Hüters.“ Oder gedenkt Ihr mir meine Bürde abzunehmen und den Stab an meiner Stelle zu überreichen?
So, so der Hüter der Eiche“ denkt sich Kièlo. Auch als Anwärter zum Ratsinspektor erfährt man so einiges mehr als andere Leute und Ulfried hatte ihr, zwar nicht ausdrücklich, doch nachdrücklich, verboten mit Gabrielle in den Norden zu reisen und dort die Geschehnisse selbst zu untersuchen. Doch Ulfried war verschwunden, schon seit einigen Monden hatte ihn niemand mehr gesehen, in keiner Taverne, weder auf den Inseln noch auf den näheren Küstenlanden.
Außerdem war sie nicht mit Gabrielle gereist, sondern hatte die Frau hier getroffen. Ulfried würde eine derartige Spitzfindigkeit wahrscheinlich mögen. Das hoffte Kièlo zumindest.
Doch sie sagt nichts davon, sondern neigt kurz den Kopf, eine Geste die sich von ihrer Mutter abgeschaut hatte. „Der Stand verbeugt sich nicht, doch Höflichkeit ist nicht umsonst“ pflegte sie immer zu sagen.
„Nun denn Nathan, Ich bin Kièlo von Akede zu Trum, Anwärterin auf einen Ratspinspektoren Posten“ Gabrielles Namen würde sie nicht nennen, offensichtlich war die hübsche Zeichnerin nicht ganz glücklich mit den Ereignissen.
„Warum klärt ihr uns nicht auf? Vielleicht habt ihr ja Informationen, die für uns alle nützlich und wichtig sind“
Dabei hält Sie Nathan noch einmal den Wasserschlauch hin, lässt ihren Fuß aber auf dem Stab.
Er nimmt den Wasserschlauch dankend entgegen und tut einige tiefe Schluck. Als er wieder absetzt atmet er tief durch. „Ich bin wohl kein Gelehrter und mit nichten gar der hohen Künste mächtig. Ich bin bloß als Bote ausgeschickt.“ Er blickt sich um. „Doch dies ist kein Ort, an dem ich all zu viel preisgeben sollte. Wisst Ihr nicht um einen Ort, der dazu geeigneter scheint?“ Sein Blick schweift zwischen Kièlo und Gabrielle hin und her.
Das scheinen nicht die Worte gewesen zu sein, die Gabrielle hören wollte. Für einen kurzen Moment zeichnet sich eine Mischung aus Zorn und Enttäuschung auf ihrem Gesicht ab, die jedoch schnell wieder verfliegen. Es wäre auch überaus überraschend, wenn nicht gar verstörend gewesen, wenn sie hier tatsächlich auf einen wahren Magiekundigen getroffen wäre. Dann musste dieses drängende Gefühl, was sie an eben jenen Ort gelockt hat, nicht von dem Mann ausgehen, sondern einzig und allein…
Ihre Mine weicht auf, als sie sich mit einem Lächeln zu dem Mann hernieder bückt und ihm die Hand hin hält.
„Recht habt ihr. Solche Dinge sollten nicht auf offenem Wege besprochen werden. Könnt ihr laufen?“
Kièlo nimmt den Wechsel in Gabrielles Stimmung ohne Reaktion zur Kenntnis. Allerdings ist sie gespannt, wo Gabrielle sie wohl hinführen wird? Gleichzeitig hört sie Ulfrieds Stimme mahnend im Hinterkopf, vorsichtig zu sein, nicht in den Norden zu gehen. Doch ist Ulfried nicht auch derjenige, der seine Elevin dazu angehalten hat, neugierig zu sein und sich immer selbst ein Bild zu machen? Nun, sie wird nie eine Ratsinspektorin werden wenn sie sich nur in Schreibstuben und auf schönen geraden Pfaden aufhält.
Daher nimmt Kièlo den Wasserschlauch von Nathan und hängt ihn wieder an das Pferd, dessen Zügel sie aufnimmt und darauf wartet das Gabrielle den Weg zeigt.
Nathan ergreift Gabrielles helfende Hand und richtet sich auf. Er hustet einmal, um den letzten Staub aus dem Rachen zu vertreiben. Sodann blickt er Kièlo nach. Er hatte noch garnicht wahrgenommen, dass Sie mit einem Pferd hergeritten kam. Offensichtlich schienen die Damen dem Wanderstab keine weitere Beachtung zu schenken, somit hebt er selbst ihn auf und prüft den Beutel daran. „Ich hoffe sehr darum, dass mein Brot und Trockenobst darin nicht bereits umgekommen sind. Wohin werden wir schreiten?“ Fragt er neugierig in die Runde.
Nachdem sich Nathan seiner Habseligkeiten vergewissert hat, führt Gabrielle sie noch eine Weile auf dem Weg entlang, ehe sie an einer dicken alten Eiche einen ausgetretenen Pfad betritt, der einem Unwissenden kaum aufgefallen wäre. Erst letzte Nacht hat sie selbst diesen Pfad genutzt, um Zuflucht zu finden. Immerhin konnte man in diesen Landen nunmal nicht an jeder Weggabelung eine Taverne erwarten.
Stumm schreiten sie eine Weile auf dem engen Pfad voreinander her, die einen aus Konzentration, die anderen um keine unnötigen Geräusche zu verursachen. Der Weg steigt stetig an, bis er schließlich auf einer Lichtung sein Ende findet. Einige Gesteinsbrocken, die womöglich einst die Mauern einer Festung gewesen sind, bieten etwas Schutz vor Wind und fremden Blicken.
„Da wären wir. Es ist keine gemütliche Schenke, aber besser als nichts und der Ausblick ist herrlich~“
Tatsächlich sind sie scheinbar auf einem Felsvorsprung angelangt, der einen Blick ins bewaldete Tal ermöglichte.
Ein kaum sichtbarer Pfad. Na so was, das war ja fast wie in einem der vielen Abenteuer Bücher die Kièlo als Kind gelesen hatte auch wenn die Mutter und die Großmutter immer geschimpft haben.
Das Pferd vorsichtig führend folgt Kièlo Nathan und Gabrielle. Wie Ulfried es sie gelehrt hat, beobachtet sie. Sie prägt sich die Landschaft ein, eventuelle Auffälligkeiten und beobachtet auch die beiden vor ihr gehenden. Noch ist sie nicht beunruhigt, viele Gespräche werden an abgelegenen und sicheren Orten geführt. Doch sichere Orte bieten auch immer die Möglichkeit für unschöne Aktionen. Welcher Art diese Aktionen sein könnten, weiß Kièlo tatsächlich nur aus Büchern und ist auch recht dankbar darüber.
„Nathan sprach von der Eiche, dann ist mit Sicherheit auch die weiße Schlange involviert“ sinniert die angehende Ratsinspektorin. „Die Finsternis soll dem Licht weichen, alles gut und schön, aber soweit ich es verstanden habe, muss Arnd Mutbrecht seinem Bruder entgegentreten und die weiße Schlange verjagen“ bei diesem Gedanken studiert sie Nathan erneut. War das vielleicht Arnd Mutbrecht? Möglich war alles, sie kannte den Mann nicht.
Gabrielles Worte lösen sie aus ihren Gedanken, als sie auf dem Vorsprung ankommen. Eine schöne Aussicht in der Tat…. und ein tiefer Sturz mit gewissem Ende nach unten.
Nathan ließ den Wanderstab bei jedem Schritt auf den Boden klopfen. Der Beutel pendelte vor und zurück. Das Gras raschelte unter seinen Ledersohlen, bis sie gemeinsam das Gasthaus unter den Wolken erreichten. „Eine Schande, dass noch kein Wirt auf diesen Ort aufmerksam wurde. Hier würde sich gewiss eine Schenke gut machen!“ Der Wanderer ließ sich auf einem der Bruchsteine sinken und seufzte auf. „Es ist nichts mehr wie einst, dort in Sognefjord. Die einfachen Bauern wurden zu Kriegern gemacht, Händler gibt es bloß noch Reisende und Lachen hallt bloß aus der Schenke „Der weiße Hirsch“ heraus, wenn die Raufbolde genug Metkrüge leerten.“ Nathan blickte von Gabrielle zu Kièlo. „Vielleicht habt Ihr bereits vernommen, dass der Primgal Dargen Mutbrecht gestürzt ist. Der Bund der weißen Schlange hat nun vollends die Macht in Sognefjord ergriffen. Allen voran der alte Schamane Ratger. Er ist wohl der Mann, vor dem sich ein jeder droben im Norden fürchten sollte. Es hätte mich beinahe das Leben gekostet, als ich mich dazu anschickte seinen Schamanenstab zu stehlen!“ Nathan hob den Wanderstab. „All die Knochen und Schädel habe ich daran bereits fortgerissen. Doch ich bin mir gewiss, dass der Hüter der neuen Eiche Verwendung für diesen Stab hätte!“ Nathan löste den Knoten des Beutelbands und nahm den Beutel an sich. Dann hielt er den Stab in Richtung Kièlos. „Sowenn Ihr wisst, wo der Hüter der neuen Eiche sich aufhält, so bitte übergebt ihm diesen Stab. Er wird es Euch gewiss vergelten. Dem bin ich mir gewiss.“ Dann legte Nathan ein amüsiertes Schmunzeln auf.
Nathan hatte Recht, es war wunderschön hier. Doch sicherlich hatte Gabrielle sie nicht wegen der Aussicht hierher geführt. Als er weitersprach war Kièlo zutiefst beunruhigt, der Primgal war Tod? Die Schlange hatte die Macht ergriffen? Plötzlich war ihr flau im Magen und sie ließ sich wie Nathan auf einen Stein sinken.
Nur zu gut erinnerte sie sich noch an das Gespräch, dass sie mit der weiblichen Schlange geführt hatte, damals in der Taverne zu Großenbrück, bei dem sie versuchte, an die Vernunft der Frau zu appellieren. Damals äußerte sie die Vermutung, das Dargen Mutbrecht die weiße Schlange benutzte, um in den schon fast traditionellen Bruderkämpfen der Nordmänner die Oberhand zu behalten und sich des Bundes zu entledigen, wenn er den Bund nicht mehr brauchte.
Hatte Kièlo die Schlange auf den falschen Gedanken gebracht? Oder nur das Unvermeidliche beschleunigt? Innerlich den Kopf schüttelnd, zwang sie sich, den Ausführungen weiter zu zuhören. Der Schamane Ratger? Von dem hatte Sie noch nie gehört, er schien auf jeden Fall nicht ungefährlich. Wenn man die Ereignisse bei der Schrein Weihung beachtete, stellte sich immer wieder heraus, dass religiöse Figuren viel zu viel gut darin waren, das Volk zu manipulieren.
Als Nathan ihr den Stab hinhielt war sie verwundert, sollte nicht lieber Gabrielle den Stab nehmen? So weit sie wusste aus verschiedenen Berichten und Gerüchten trieb Gabrielle sich des Öfteren im Norden herum und sogar eine innige Verbindung zu Arnd Mutbrecht wurde ihr nachgesagt. Aber lebte Arnd noch? Zögernd streckte sie den Arm aus um den Stab entgegen zu nehmen. Verdammt sie brauchte Ulfrieds Rat…