Abt Kolperts Anleitung für eine gemäßigte Mission
Niedergeschrieben sind hier die Gespräche zwischen dem Abt Kolpert und seinem Novizen Bruder Bisquit nach dessen Rückkehr von seiner ersten Predigerreise. Beide Mönche gehörig zum Pretoriusaner-Orden. Die Texte haben sich bewährt als Handreichung für angehende Wanderprediger und Missionare, welche berufen sind, das Wort des Eynen im Geiste des Heiligen Pretorius in die Welt zu tragen. Der Heilige Pretorius galt als ein mildtätiger und selbstloser Bekehrer, gewandt in Wort und Tat und stets um das Wohl der Niedrigsten besorgt.
Abt Kolperts Auslegungen sind weder verbindlich für Pretorianer noch werden sie von allen Ordensmitgliedern geteilt. Seine Abhandlungen haben eine sehr tolerante und sanfte Missionsarbeit vor Augen. Dies bedingt durchaus Gegenstimmen, welche die Lehren des Eynen weniger zurückhaltend verkünden mögen.
Das Geheimnis des rechten Missionierens
Novize: „Meister, ich predige den Fremden, doch sie hören nicht auf mich. Sie verschließen ihre Ohren und gehen mich an.“
Meister: „Mehr als durch Worte vermag das Vorbild bekehren. Warum sollen dir Fremde zuhören? Zuerst gewinne ihren Respekt durch dein eigenes Vorbild, danach ihre Herzen, indem du ihnen eine Hilfe bist. Erst dann schenken sie dir Gehör. Die Ferne ist voller erschlagener Missionare, die den Dreischritt mißachtet haben. Oder wenn du willst in aller Kürze: erst zeigen, dann reden.
Novize: „Und ist es mir gelungen, sind immer noch viele darunter, die nicht bekehrbar scheinen. So arg ich es auch versuche, als seien sie blind und taub gegen jedes vernünftige Wort. Wie erkenne ich das rechte Maß meines Abmühens?“
Meister: „Es wäre ein schlechter Feldscherer, wenn dutzende blutend darniederligen, der sich um die widerborstigen sich besonders kümmerte und dafür die anderen verbluten ließe. So ist es mit den Strauchdieben, den Lusterludern, den, den Betrügern, sogar den Zauberern. Wer unbekehrbar ist, der stiehlt dir deine Zeit. Es gehört viel Weisheit dazu, sich als Missionar auf die Tugend der Bescheidenheit zu besinnen. Und dennoch, gib selbst die der Finsternis Anheimgefallenen niemals auf. Nur stelle sie hinten an, dass du nicht um eine unsichere Seele wegen gar unzählig nach dem wahren Wort dürstende fallen lässt.“
Novize: „Meister, es steht geschrieben, wir sollen unserem Nächsten helfen, den wahren Glauben zu erkennen.“
Meister: „Die Fremden sind nicht deine Nächsten. Gewinne ihre Herzen, so werden sie es einmal. Dann ist die Zeit, sie zu erleuchten.“
Novize: „Ich hatte den Eindruck, ich hätte die Herzen gewinnen können, indem ich meine Tugenden aufgebe. Indem ich mich an Schmuggel und Betrug beteiligt hätte.“
Meister: „Wenn wir nach einem Ideal streben, suchen wir nicht nach Belohnung. Wenn du die ceridischen Tugend aufgibst, um dich mit den Wilden gemein zu machen, ist deine Expedition gescheitert. Was dir vorschwebt, ist nicht der Gewinn der Herzen, sondern der Abschluss von Geschäften. Du hättest nicht ihre Herzen gewonnen. Sobald du für sie ohne Nutzen, hätten sie dich nicht länger gekannt.“
Novize: „Oh Meister, das ist alles so kompliziert. Wenn ich doch nur aus der Schrift die richtigen Schlüsse zöge wie Ihr.“
Meister: „Vielleicht ist es für deine Missionsreisen der richtige Schluss Schlussfolgerung, nicht so einfach Schlüsse zu ziehen.“
Vom Umgang mit fremdem Glauben
Novize: „Meister, auf meiner Reise begegneten mir wiederholt schaurige Götzendienste. Fremde Wesenheiten und die Wilden nennen sie ihre Götter. Sie haben große Macht und sind gar freundlich, dass es meinen Geist verwirrt. Sie helfen ihren Anhängern emsig, die siebenundzwanzig silbernen Diener des Bozephalus abzuwehren, dass ich nicht vermag, sie vom falschen Glauben abzubringen.“
Meister: „Niemals lichte die Reihen des Lichts gegen die bozephalischen Horden durch missionarischen Übereifer. Hilarius schenkte uns das zweite Manifest zur Unterscheidung von Gut und Böse. Die Kirche des Eynen ist die Wurzel beinahe aller redlichen Konfessionen. Bemessen wollen wir fremden Glauben nach seiner Richtung hin zurück zur Mutterkirche und nicht nach der Länge der noch zu gehenden Strecke. Würde man euch Novizen in die Klosterzellen einsperren mit derselben Schrift, euch das Verbot miteinander zu reden auferlegt, wie sehr würde sich eines jeden Auslegung wohl unterscheiden? Um wieviel mehr müssen die Wurzeln unserer Mutterkirche in allerfremdesten Ländern Verzweigungen genommen haben, in denen nicht wie bei uns seit über tausend Jahren die Urtexte bewahrt wurde? Urteile nicht zu schnell, denn der Bozephalus liebt es, die Rechtgläubigen gegeneinander aufgewiegelt zu wissen. Und seine Feinde sind Gotteskinder und Engel allemal.“
Novize: „Aber sie nennen sie Götter. Gebe deinem Gott keinen Namen, denn er ist der Einzige und Wahre! So will es das erste Manifest.“
Meister: „Es ist keine bozephalische Verfehlung, kein Dämon treibt Spiel, niemand trägt Schuld. Der Eyne sandte seinen Engel über die Erdenscheibe seinen Kindern zum Beistand. Nur verkannten diese des Boten wahre Beschaffenheit. Wie auch anders wäre es gegangen? Würden nicht auch wir ohne unsere Schriften leicht die Engel für Götter halten? Ohne die Buchlehren über die wahre Beschaffenheit des Himmels und der Welt, was wüssten wir, das uns einen Engel vom Eynen zu unterscheiden befähigt?“
Novize: „Umso entschiedener müssen wir die Wahrheit unter den Irrgegangenen verbreiten, nicht ruhen, bis jeder die wahre Schrift weiß.“
Meister: „Die Engel werden in fremden Ländern bisweilen länger verehrt als es unsere Kirche gibt. Noch als die gefallene Welt den Propheten die Füße schwer werden ließ, zur Verkündung alle Winkel der Erdenscheibe zu bereisen, da sandte der Eyne seine Engel voraus. Und nach Äonen kommt dir in den Sinn, die Anhänger ließen zwischen zwei Sommern ab. Selten sind solche glücklichen Bekehrungen und mehr noch hört man Hohn und Spott.
Wisse dies: Wir sind Samenkörner, vom Windboten Demantael auf dürren Acker getragen. Die einen werden von den Vögeln verzehrt, andere vertrocknen im Staub. Nur eines unter eintausend treibt gegen allen Unbill Wurzeln und es vergehen eine Äon Jahre zum starken Baum. Dies ist das schwere missionarische Los: Was wir sähen, werden wir in diesem Leben nicht mehr ernten.
Vom Umgang mit nichtmenschlichen Völkern
Novize: „Meister, mir sind auf der Reise natürliche Kreaturen begegnet, wie ich sie mir in kühnen Träumen nicht ausmalen konnte, Orks und Elfen, gar deucht mir auch Rattenmenschen.“
Meister: „Dir werden als Missionar noch weit mehr Gestalten begegnen. Manche wild, andere scheinbar hochkultiviert. Doch lasse dich nicht täuschen, sie alle haben keine Seele. Sie sind gleich den Tieren. Um ihr Seelenwohl kümmere dich also nicht. Wohl aber haben einige von ihnen höhere Wesen zu ihren Göttern erkoren und sind magieträchtig. Hüte dich vor ihnen. Mitunter sind sie älter als die Menschen, weil der Eyne für das edle Geschöpf erst einmal Versuche wagte. Gleichzeitig sind auch sie leidensfähig und wir sollten ihnen nicht unnötig Leiden bereiten. Im Gegenteil, wir dürfen sie versorgen, wenn dadurch keine Menschenseele vernachlässigt wird. Wohl aber müssen sie bei weltlichen Verfehlungen zügig und streng gerichtet werden. Denn nach ihrem Tode gelangen sie nicht wie wir vor einen höheren Richter. Sie werden einfach Kompost. Wenn sie nicht auf Erden für ihre Taten bestraft werden, geschieht dies niemals. Ich möchte hinzufügen, dass diese Lehrmeinung unter Theologen umstrittlich ist. Unstrittlich hingegen ist der Seelenbesitz von Zwergen.
Vom Umgang mit Zauberey
Novize: „Meister, auf meiner Reise traf ich allenthalben auf Zauberer und Hexenvolk. Ich spreche nicht von solchen, deren Verderbtheit offenkundig ist, nicht von Schwarzmagiern und Paktierern. Ich spreche von jenen der Zunft, die sich anmaßen, ihre Zauberkunst als Mittel für gute Zwecke zu nutzen. Soll ich auch solchen das Herz öffnen?“
Meister: „Ein großes Übel für unserer Kirche ist der Übereifer der Überseemissionare in kleinen Dingen. Unsere Missionare sind aus der Heimat eine Kirche gewohnt, die alle Ordnung hält. In solcher Heimat ist es angemessen, ein Auge auf Kräuterweyber und Wahrsager zu haben. Doch richte deinen Blick dorthin, wo die wahre Kirche noch nicht vorgedrungen ist: der Bozephalus tanzt vor offenen Höllentoren zu, Kriege toben, Nekromanten werfen Armeen von Untoten gegen die Sterblichen, die sich alle gegenseitig vor Habgier und aus Angst totschlagen. Was willst du ein altes Kräuterweyb bekehren, welches ihrem Sohn durch Zauberey eine Wunde heilt?“
Novize: „Aber Meister, das ist Ketzerey? Hilarius sprach zu Cadorus, Zauberey sei niemals als Mittel zum Guten zu gebrauchen. Die Manifeste, Meister, die Manifeste!“
Meister: „In den Manifesten steht auch, ein Herr solle die Schwachen schirmen. Mahnst du solche Herren auch mit derselbigen Elle, wenn sie ihre Geschirmten mit Füßen treten oder Schlimmeres? Mir dünkt, unsere Missionare wählen die schwachen Kräuterweyblein allzugern aus Sorge um ihr eigenes Wohlergehen. Sie suchen die schwächsten Sünder, um sich groß zu zeigen und übersehen großzügig jene, die ihnen den Hals umdrehen könnten. Gleichsam weiß ich von dir, du hast das Manifest des Gehorsams mehr als einmal übertreten, Bruder Bisquit. Und mir klingt noch dein Jammern im Ohr, es wäre alles in guter Absicht geschehen. Und so geziemst du dich, den Stab über andere zu brechen?“
Novize: „Aber Meister, wie soll ich dann Hexerey und Zauberey entgegentreten, wenn sie mir begegnen?“
Meister: „So, wie du deinen eigenen Verfehlungen entgegentrittst. Nicht mehr und nicht weniger.“
Novize: „Soll ich sie nicht wenigstens ermahnen?“
Meister: „Ich habe 333 Missionsberichte aus fernen Ländern studiert, ich habe mich mit 222 Missionaren unterhalten und ich habe 111 Zauberer befragt. Dabei kam ich zu 1 Erkennen. Nicht ein einziger unter ihnen hatte wegen einer Ermahnung vom Zaubern abgelassen. Möge der Hl. Aurelius vom Himmel herabsteigen und dir für dein Ansinnen seine Traktate über die Bescheidenheit um die Ohren schlagen! Hilarius sagt, Zauberey stört die göttliche Ordnung, doch wo keine Ordnung mehr ist, was stört Sie? Und wofür haben wir den Ablasshandel?
Überdies ermahne ich uns alle, nicht nur unsere berühmte Heilbad- und Kräuterkunde feurig voranzutreiben, sondern auch grundlegende Verbandswickel, Schienungen und Einverrenckungen zu üben. Wer über Heilzauberer jammert und den Versehrten keine magiefreie natürliche Alternative anzubieten hat, der ist wie einer, der über Heilzauberer jammert, obgleich er keine magiefreie natürliche Alternative anzubieten hat.“
Novize: „Doch Meister, die verderbte Zauberey, die bozephalische, die über jede Grenze ist gegangen. Wie erkennen wir sie, wenn wir sie immerzu vermeiden?“
Meister: „Ach Bruder Bisquit, du hast wieder einmal im Unterricht geschlafen. Das bischhöfliche Konzil von Gergonsmund hat längst festgestellt, dass nur die Anwendung der Zauberey gegen die Manifeste ist, nicht das Studium. Im Gegenteil, müssen wir uns mit ihr befassen, sie erkennen und eynengefällig beseitigen. Es ist für alle sicherer, wenn wir dabei genau wissen, was wir tun. Für dich ist es aber noch zu früh. Das Studium der dunklen Künste verleitet euch Novizen leichter zur Sünde als ein unbedecktes Frauenknie.“
Über den Umgang mit den sieben Sünden
Novize: „Meister, meine Reise führte mich allerorten durch triefende Sünde. Ich sah Unzucht und alle Siebensünden nur einen Steinwurf nach dem anderen entfernt.“
Meister: „Als der letzte Sturm unser Klosterdach wegriss und der Regen hineinpeitschte, wie sind wir da vorgegangen?“
Novize: „Nun, wir flickten das Dach und trugen den Schlamm hinaus.
Meister: „Und hatte irgendwer im strömenden Regen die Möbel poliert?“
Novize: „Natürlich nicht.“
Meister: „Genauso ist es mit dem Sündensturm in der Fremde. Eines nach dem anderen. Erst einmal beseitigen wir die großen Schäden, hiernach die kleinen. Möchtest du in Kriegsgebieten die Soldknechte von der Hurerei fernhalten, gebierst du große Gefahr für die Weyber der bekriegten Landstriche.“
Novize: „Das sehe ich ein. Aber was kann ich sonst tun?“
Meister: „In Siebenhöfen wacht die Kirche über die Sauberkeit der Hurenhäuser. Dies hilft den Dirnen und die Freier haben nichts dagegen. Denn bedenke immer eines: viele Sünden entstammen anderen Sünden. Was tust du, wenn ein Damm reißt und dein Haus überschwemmt? Richtest du den Damm wieder her oder schöpfst du das Wasser aus dem Haus?“
Novize: „Ich richte zuerst den Damm wieder her.“
„Meister: „Siehe, die offenkundigen Untugenden und die Zauberey entstehen zuvorderst durch Verfehlungen anderer Art, die sich dem allerersten Blick zunächst entziehen. Du mahnst zurecht, Heilzauber verstoßen gegen das Manifest der Zauberey und willst dagegen vorgehen. Das wäre wie bei einem Dammbruch Wasser mit Kübeln über den Zaun nach draußen zu kippen.
Novize: „Ich verstehe nicht ganz.“
Meister: „Dann höre folgende Geschichte aus meinen früheren Tagen: Es holte sich ein verwundeter Knecht beim Hexenweyb Heilzauber. Warum hatte er es getan, wollte ich wissen. Es stellte sich heraus, dass sein Herr ihm keinen Schutz vor marodierenden Unholden bot und ihn auch sonst nicht ausreichend mit Heilkunst versorgte und sowieso knapp an Lohn hielt. Doch warum handelte der Herr so, fragte ich mich. Es stellte sich heraus, dass dieser nicht geschult war, das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Ich forschte weiter. Früher einmal kam ein eifriger Missionar in sein Land, hatte ihn ermahnt, immer wieder und wieder, bis er eines Tages, … sagen wir so, er kam vor seiner Zeit zur Waage des Eynen. Hätte ich also den armen Sünderknecht verurteilt und gemahnt, was wäre gewonnen? Ja, seine Seelenwaage wäre mit viel Überredungskunst etwas zum rechten gestiegen. Aber für wie lange? Auch er hatte Schutzbefohlene, seine Frau, seine Kinder. Ohne heilen Leib konnte er sie nicht mehr ernähren. Doch gebietet Hilarius dem Hausherren seine Sassen zu schirmen. Sage mir, wenn einer nur wählen kann zwischen zwei Sünden, wie schwer wiegt dann jede für sich?
Ich mahnte ihn also nicht mehr als nötig. Ich baute ein kirchliches Armenhaus, was dem Landesherrn genehm war. Aus den Versorgten, wurden mit der Zeit fromme Leut und das bemerkte auch der Landesherr. Irgendwann kam er häufiger in die Kirche. Ich mahnte ihn nicht, seine Untertanen zu schirmen, sondern lehrte ihn die Weisheit der Unterscheidung von Gut und Böse. So erlangte er selbst zur notwendigen Erkenntnis. Er besann sich auf seine Pflichten, seinen Untertanen ging es gut und sein Lehen blühte auf. Den Nachbarsherren blieb das nicht verborgen und sie holten Rat ein, es ihm gleich zu tun. Nun sage mir, was gewonnen gewesen wäre, meine Kraft, Zeit und Predigten drin zu versenken, damals den Knecht und alle anderen vom Heilzauber abzuhalten? Natürlich verbrannten wir das Hexenweyb später, als die Dinge wieder im Sinne des Eynen hergerichtet waren. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage, erst flickt man das Dach, dann trägt man den Schlamm heraus und am Ende poliert man die Möbel und wäscht die Teller. Und wenn dann noch Zeit trocknet man auch ab.“
Novize: „Ich verstehe, Meister. Eine Untugend führt zur nächsten und eine unter ihnen ist die Wurzel. Und dennoch, die Menschen leben da draußen so anders als hier im Kloster. Ich möchte ihnen die tiefen Freuden eines eynengefälligen Lebens vermitteln.“
Meister: „Ach, Grünschnabel! Willst du etwa die ganze Welt zu einem Kloster machen? Sei wie die Sonne und dein Feuer wird die Erde wärmen.“
Novize: „Meister, ich wage es kaum zu sagen, aber auch ich ward der Versuchung nahe. Was tue ich, ihr zu widerstehen?
Meister: „Körper und Geist haben viele Bedürfnisse: Hunger, Durst, Liebe. Sollen wir versuchen, sie zu befriedigen? Nimm sie einfach zur Kenntnis, und Befriedigung wird folgen. Eine Wahrheit zu unterdrücken bedeutet, ihr unerträgliche Macht zu verleihen.“
Novize: „Und wenn das alles nichts hilft?“
Meister: „Dann unterdrücke es mit den mannigfaltigen Geräten der Selbstgeißelung, die jeder Novize erhalten hat.“
Novize: „Meister, gibt es nicht dennoch Menschen von abgrundtiefer Sünde?“
Meister: „Siehe den Schmetterling. Die Seidenraupe stirbt, der Schmetterling lebt und doch sind sie nicht zwei verschiedene Wesen, sondern ein und dasselbe.“
Vom Meiden politischer Ämter
Novize: „Meister, wieso lehnen wir Pretouriusaner politische Ämter ab, andere Orden aber nicht?“
Meister: „Politische Ämter schaffen viel Feind. Diese werden versucht sein, deinem Ansinnen nur dieswegen zu schaden. Außerdem färben harte politische Entscheidungen auf den Orden ab. Die Leute sehen sich nicht sobald durch das politische Amt zurückgesetzt, denn durch den Orden, dem der Amtsträger angehört. Erinner, was du gelesen über die kleinen Kriege. Verschont blieben die Armenhäuser unseres Ordens, auch wenn ringsum alles in Unordnung ward. Denn kein Sieger fürchtete um seine Herrschaft durch die Pretoriusaner. Umso mehr gilt dies solchen Ruf in der Fremde einzupflanzen. Es ist da draußen schon ein Leid zur Genüge, allein die konfessionellen Klippen zu umschiffen.
Freilich ist es gut, dass die Kirche auch politische Ämter häufen darf, aber es ist auch gut, dass es wenigstens einen Orden ohne politische Verwicklungen gibt. Und wenn kein Weg dran vorbeiführen möge, wenn unsere Mission ohne ein Amt ins Stocken gerät, gibt es immer noch die amtlichen Dispense. Das ist notwendig, wird einer von uns zum Bischof berufen oder unserem Orden ein Lehen übertragen. Wir sind Gläubige, keine Weltfremde.
Über den Kampf
Novize: „Meister, auf meiner Reise wurde ich von Räubersleut heimgesucht. Ich war voll der Angst.“
Meister: „Über das Kämpfen wisse dies: Der mutige Kämpfer meidet Gewalt. Der talentierte Soldat meidet Wut. Der große Krieger kämpft nicht wegen Nichtigkeiten. Meide, statt zu kontrollieren. Kontrolliere, statt zu verletzen. Verletze, statt zu verstümmeln. Verstümmle, statt zu töten. Denn alles Leben ist wertvoll, sei es zum Belehren, zum Lernen oder als Speise.“
Über die sieben Tugenden
Novize: „Meister, welche der sieben Tugenden der wahren Kirche sind für einen Missionar die wichtigsten.“
Meister: „Die erste missionarische Tugend ist die Barmherzigkeit, denn Mission ohne Gnade ist Eroberung. Hiernach folgen sogleich Bescheidenheit und Demut, denn wir sähen Keime und ernten spät. Die dritte Tugend ist die Großzügigkeit, denn wir wollen geben, nicht nehmen. Die vierte ist der Fleiß, denn mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Die nächste missionarische Tugend lautet Mäßigung, voran im Predigen und Ermahnen oder man wird nurmehr fliehend durch die Landen ziehen. Die letzte Tugend ist die Treue. Die Versuchungen in der Ferne sind groß und die Mannigfaltigkeiten verwirren den Geist. Ohne Treue zur eynen wahren Kirche wird der Missionar schnell zum Missionierten.
Doch und trotz alledem: Alle Tugenden sind kein Garant für eine segensreiche Missionierung. Lerne zuerst, tugendhaft zu leben. Lerne zweitens, nicht zu töten. Lerne drittens, mit dem Tod zu leben. Lerne viertens zu sterben. Doch nun ist die Stunde um.“
Novize: „Habt Dank, Meister. Ich gehe nun lernen.“
Meister: „Der Eyne weile unter uns zu allen Zeyten.“