Ich nahm mir ein paar stille Minuten im Garten der Akademie und dachte an meinen Onkel. Als der hohe Majestro Walther von der Wimmerweide mir auf Escadon die trübe Nachricht von meines Onkels Ableben brachte, war ich zu beschäftigt, um viel darüber nachzudenken. Doch hier, in dem sinnlichen und schönen Garten, mit all seinen kleinen versteckten Ecken voll Ruhe und Besinnlichkeit fand ich zurück zu mir.
In seinen letzten Zeilen stand, dass er eine große Hoffnung in mich setzt,…dass ich seinen Spuren folgen würde. Ob das nun wirklich mein Weg ist, den ich beschreiten will, weiß ich nicht. Aber ich habe mich entschieden, den Majestro auf seiner nächsten Reise zu begleiten, um zu lernen.
Herr Walther von der Wimmerweide ist ein sehr eigentümlicher Mensch. Er möchte stets alles aus einem grauen Blickwinkel sehen und deshalb streiten wir uns unetwegt. So war das auch auf unserem Weg nach Nordgaard, wo der Majestro einen Kunstwettstreit ausgerufen hatte. Über den Weg dorthin möchte ich nicht weiter berichten, wichtig zu wissen ist jedoch, dass Nordgaard eine Welt für sich ist. Man kann von überall dorthin gelangen, es sind kleine Portale, durch die man einfach hindurchtritt und plötzlich ist man da.
Wir trafen zur Mittagsstunde in dem Dorf ein. Es war sehr heiß und alle Bewohner drückten sich in kühleren Ecken herum, schliefen oder betrieben Müßiggang. Das Dorf ist klein und verträumt, mit liebevoll angelegten Gärten hinter den Häusern und einem großen Wachturm auf der Dorfwiese.
Der Majestro suchte sofort den Stadtrat Herrn Eske auf, um den Wettstreit der Künste anzukündigen. Neugierig spitzten auch die Bewohner die Ohren – Herr Walther hat kein leises Organ – und begannen ihrerseits schnell mit Vorbereitungen.
Ich machte mich bald daran, Anmeldungen einzusammeln. Zu meiner Verwunderung wollte die Mehrheit der Leute an dem Wettstreit teilnehmen. Darunter waren einige aus dem fahrenden Volk, die uns zwischenzeitlich die Zukunft voraussagten (Ich werde zwei Kinder bekommen und Herr Walther liebäugelt mit einem Abenteuer im fernen Welder), eine Frau, die wie eine Zauberin aussah, dunkel und mysthisch, ein Händler aus dem Wüstenvolk, bei dem Herr Walther eine duftende Seife für mich erstand, einen reisenden Priester und jede Menge Nordleute. Die Beiträge umfassten Gesang, Poesie, Gemälde und Leibesübungen. Das versprach einen sehr bunten Tag.
Während wir auf die Stunde warteten, an dem der Wettbewerb beginnen sollte, stritten der Majestro und ich wie gehabt über Kunstformen und Ausdruck. Umso mehr freute ich, als ein kleiner schwarzer Vogel plötzlich auf meiner Hand landete und begann, das Zahnbruchbrot zwischen meinen Fingern zu picken. Die Federn glänzten ebenholzschwarz und mit seinen klugen Augen besah er die ganze Welt, als würde ihn kein Wässerchen trüben. Man sagte uns, dass der Vogel äußerst frech immer wieder alle möglichen Schmuckstücke stibitzen würde. Ich sah ihm nach, als er sich mit weiten Flügelschlägen wieder in die Luft erhob. Wie schön wäre es, über die ganze Welt fliegen zu können – Welche Wunder gab es doch von dort oben alle zu sehen.
Als der Wettstreit begann, durfte ich auch eines meiner jüngsten Werke vortragen. Mit roten Wangen und ganz aufgeregt las ich meine Zeilen vor und erntete tatsächlich Lob von Herrn Walther:
Feder + Schwert
Das Schwert, das in der rechten Hand
so manch Gefahr und Krieg gebannt,
ist wahrlich eine große Waffe, hat großen Wert,
den ein Jeder schnell begehrt.
Denn mit dem Schwert ist man
doch stark und unbeugsam
… so denkt der Mann.
Die Feder, die im Leder steckt
und mit der mancher Vers entdeckt,
zeigt erstmals weniger Gefahr (als Waffe)
– Das ist wahr.
Doch ein Unsinn ausgeheckt
und festgehalten auf Papier,
hallen Verse länger durch den Kopf
von tausend Heeren,
als bei ´nem armen
durchs Schwert gefall´nen leeren
Tropf.
Die Bewertungskriterien:
1. Präsentation und Ausführung
2. Emotionale Wucht
3. Akademisches Anschlusspotenzial und Weltverständnis
4. Publikumsbeifall
Die Teilnehmer und ihre Werke:
1. Herr Leonid mit einer Zeichnung seiner Schwester
2. Frau Saja mit einem Schauspiel
3. Frau Philka mit einem Tanz
4. Frau Murphy mit einem Gemälde der Dohle
5. Herr Amir mit einem Trommellied
6. Frau Außer mit einem eigenen Lied
7. Herr Raven mit einer geschnitzten Phallusskulptur
8. Frau Leni mit einem gebastelten Traumfänger
9. Bruder Gernfried mit einem spontanen Gebet
10. Frau Merle mit einer Strohskulptur
11. Frau Frenja mit einer Leibesübung
Den dritten Platz belegte Frau Murphy mit einem außerordentlich schönen Bild, Tinte auf Pergament von der dorfeigenen Dohle
Den zweiten Platz bekam Frau Außer mit ihrem selbst geschriebenen Lied über eine Amazonenkönigin, das sie ohne musikalische Begleitung vortrug und allen Gänsehaut damit bescherte.
Der erste Platz ging an Frau Frenja, die uns alle mit einer Leibesübung überraschte. Sie erzählte eine ganze Lebensgeschichte einer Frau mit ihren sportlichen Verdrehungen ihres Körpers.
Die Welt hat so Vieles zu bieten, man muss nur die Augen öffnen und schauen. Und die Ohren öffnen und lauschen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Akademie weiterhin etwas für mich ist, doch habe ich mir vorgenommen, dort immer wieder mal einen Besuch abzustatten und zu schauen, was Trums Künstler Neues in die Welt tragen würden.
Es war ein sehr schöner und bunter Tag gewesen, als der Majestro und ich das Dorf schließlich wieder in Richtung Heimat verließen.
by Anka