Still steht Anka vor der verschlossenen Tür ihrer Taverne mitten in Gergonsmund. Die Frühlingssonne fällt warm auf die Pflastersteine, doch hat sie noch nicht die Kraft des Sommers, diese für länger zu erwärmen. Anka fröstelt, schreckt auf aus ihren Gedanken, kramt in der Tasche nach einem Schlüssel und sperrt die Tavernentür auf. Sie geht hinein… und schließt hinter sich die Tür.
Es ist erst kurze Zeit her, als sie wenige Tage vor der Wiedereröffnung des Feefferstreuers morgens eine Botschaft vor ihrer Türe fand. Sie war gerade erst von ihren Reisen heimgekehrt, die Renovierung und Ausstattung der Schänke beendet, die letzten Vorbereitungen für ein lauschiges Fest liefen und sie wartete nur noch auf die letzte Lieferung an Bier, um es mit Feenstaub zu versetzen und für den Ausschank bereit zu machen. Ein lautes Pochen klang an der Tür, so laut, dass sie dachte, jemand schlüge gleich die gesamte Tür ein. Sie eilte zum Eingang, um zu sehen, was dort vor sich ging oder wer Einlass begehrte, doch als sie die Tür aufgesperrt hatte, stand dort niemand vor ihr… ein weitaus schlimmeres Bild bot sich ihren Augen:
Ein riesiges, geborstenes Bierfass ragte in voller Größe vor ihr auf, noch feuchtgetränkt vom Inhalt, der sich in ihm befunden hatte, roch es stark nach dem kräftigen Bier, das sie geordert hatte und auf das sie so sehnsüchtig wartete. Stattdessen war der Boden jedoch gefärbt in einem dunklen, furchterregenden Blutrot, das sich langsam über die Straße verteilte.
Anka erstarrte. Was hatte das zu bedeuten? Sie starrte auf ihre Schuhe, die in einer Lache der Flüssigkeit standen, die besorgniserregend genau nach echtem Blut aussah.
Eine gefühlte Ewigkeit später bewegte sie sich wieder, hob einen Fuß und betrachtete die roten Tropfen, die davon auf den Pflasterstein hinunterfielen. Erst dann besann sie sich und rief um Hilfe.
Mit Sefa und zwei anderen Helfern schrubbte Anka etwas später den gesamten Platz vor ihrer Taverne. Die Leute blieben stehen und sprachen sie an. Sie sahen, wie aufgelöst die junge Wirtin war und die meisten wollten helfen, nur einige wenige machten sich mit einem schadenfrohen Grinsen auf den weiteren Weg. Anka war durch ihr liebenswertes Wesen bekannt und schnell in der Gegend aufgenommen worden.
Ein älterer Mann, den sie als Rigulbert kannte und der ab und zu auf ein kleines Bier in dem Feefferstreuer einkehrte blieb neben ihnen stehen. Anka hob ihren Blick, die Haare klebten ihr schweißnass im Nacken und sie wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Herr Rigulbert! Wie geht es euch? Es tut mir Leid… Ich… ich habe im Moment kein Bier, das ich euch anbieten kann… ich…“ sie schluchzte und versuchte die Tränen der Erschöpfung, des Schreckens und der Enttäuschung zurückzudrängen. „Ich sehe das schon mein Kind. Was war denn hier los?“ Und Anka berichtete ihm von dem Vorfall mit dem geborstenen Bierfass.
Rigulbert strich sich nachdenklich durch den Bart. „Mein Kind, ich sage dir, das klingt ganz nach einer Botschaft.“ „Einer Botschaft? Von wem denn? Wer will denn bloß, dass ich meine Taverne schließe?“ fragte Anka furchtsam. „Nein, nein. Ich denke, es geht um etwas anderes. Frithjoff von der Taverne `Besoffener Seemann` im Hafenviertel ist etwas ganz ähnliches passiert. Da war das ein Denkzettel von der Lila Distel.“ Während er dies sagte wurde er ganz leise und schaute sich vorsichtig um. „Kennst du diese Leute? Die erpressen tüchtige Unternehmer um ihren schwer verdienten Lohn um damit eine ganze Armee an Straßenräubern aufzubauen.“ Anka wurde blass. Straßenräuber! Ob die ihre Lieferung abgefangen hatten?
Stimmt ja! Da war doch was auf der Eröffnung vor einem Jahr… waren da nicht zwei der Distel dort gewesen und hatten schon schreckliche Gerüchte von Leichen in ihrem Bier in die Welt gesetzt, nur um ihr zu zeigen, dass sie besser machen sollte, was sie sagen? Und nun… ? Sie würde die Taverne nicht mit solch einem großen Fest wieder eröffnen können… sie müsste vorsichtig sein, ja sich sogar überlegen, ob sie die Taverne nicht vorerst geschlossen lässt… – Traurig schaute Anka auf ihren fleckigen Rock, der durch das Schrubben eine bräunliche Farbe an den Knien angenommen hatte. – Sie würde ihren Freunden schreiben! Ja! Und sie würde versuchen, Kontakt zur Distel aufzunehmen. Vielleicht waren diese Leute lediglich unverstanden und sie könnte mit ihnen reden. Dann rappelte sie sich auf.
„Wartet, Herr Rigulbert. Darauf trinken wir erstmal einen guten Schluck. Ich hab da noch was…“ flitzte in die Taverne und kam bald darauf mit einer Flasche und zwei Gläsern wieder. „Ein wahres Lebenselixier, ein Kräuterschnaps mit Feenstaub versetzt, das wird uns aufmuntern.“ Sie schüttete das grün-schillernde Getränk in die Gläser und Rigulbert lächelte mild, während seine Augen glitzernden. „Auf dich, liebes Kind. Es wird schon alles wieder gut.“
Hämisch grinsend versteckte sich Gerol Hakennase hinter dem Vorhang seines Zimmers im ersten Stockwerk der Unterkunft „Zum Reisenden Riesen“. Gegenüber dem Haus, auf der anderen Straßenseite, wich gerade die Farbe aus dem Gesicht der jungen Wirtin.
Gerol und seine Kumpane hatten am Vorabend das Bierfass für den Feefferstreuer aus dem Lagerhaus des Lieferanten geholt, zerschlagen und eine Ziege hineinbluten lassen. Gerade hatten die Kumpane das Fass vor der Eingangstür des Feefferstreuers vom Karren geworfen und laut gegen die Tür geschlagen.
Die junge Wirtin Anka stand wie angewurzelt in der Blutlache und schien eine Zeit lang erstarrt zu sein. Gerol nickte zufrieden und rückte den Tisch näher ans Fenster um zusehen zu können was geschah. Er holte Stuhl, Papier, Feder und Tintenfass und Begann mit Blick auf die Straße, auf der Anka und zwei Helfer zu schrubben begannen, zu schreiben:
An die hochgeschätzte Wirtin des Feefferstreuers
Frau Anka aus Siebenstein
Liebe Frau Anka
wie uns unschwer entgangen ist, seid Ihr und euer Etablissement jüngst das Opfer eines heimtückischen, gemeinen und hinterhältigen Anschlags geworden. Wie wir uns unschwer vorstellen können, wird das Auswirkungen auf die Anzahl eurer Besucher in der Zukunft haben.
Nun liegt es im größten Interesse, der Gemeinschaft der Lilafarben Distel, das euer neu gegründeter Laden auf die Beine kommt und weiterhin reichlich Gewinn abwirft, da er für diese schöne Gegend in Gergonsmund natürlich als Gewinn bezeichnet werden kann. Daher bieten wir euch an, dass wir von der Gemeinschaft der Lilafarben Distel künftig für Kunden Sorgen und euer Etablissement durch unsichtbare Wachen vor weiteren Anschlägen bewahren. Um diesen Vorschlag mit euch zu besprechen wird in Naher Zukunft ein Handlungsbevollmächtigter Vertreter unserer Gemeinschaft auf euch zukommen.
Bis dahin haltet eure Wirtschalt sauber.
Mit den allerbesten Grüßen
Die Gemeinschaft der Lilafarben Distel
Als er den Brief zusammenfaltete rutschte sein Ärmel hoch und auf seinem Arm zeigte sich eine wunderschöne Lila tätowierte Distel. Morgen würde reichen um den Brief zuzustellen.