Ein Plan für eine Reise …

Nur eine Handvoll vertrauenswürdiger Glaubensgefährten hatte Bruder Lammfromm zu seiner mitternächtlichen Präsentation in der Bibliothek der Sonnenburg des Sonnenordens zu Champa eingeladen. Sein Plan war ein wenig voraussetzungsvoll, ja. Aber von den Anwesenden wusste er, dass sie die theoretischen Prämissen teilen würden und der Rest waren nur noch reine Logik und eiserner Wille.

„Verschiedene Gelehrte haben bestätigt, dass die Welt eine Scheibe ist.“, Begann Lammfromm, während er im flackernden Kerzenschein ein altes Buch aufschlug, unter dessen Last der morsche Tisch knirschte, dass einige Holzwürmer die Flucht ergriffen.

„Um genauer zu sein, handelt es sich wahrscheinlich sogar um eine Wanne. Dies lässt sich leicht daraus schließen, dass sich Schuhe im Allgemeinen zuerst an Spitze und Hacke abnutzen. Bei einer Wannenform der Erde ist dort auch tatsächlich der Druck beim Laufen am Höchsten. So schreibt es Apokalypto der Verzweifelte vor einhundert Jahren. Und so höret nun meinen Plan. Wenn es uns gelänge, an das Ende der Welt zu gelangen, dort, wo der Mond immerzu untergeht – man braucht ihm ja nur zu folgen, dann könnte ein Mann mit Herz durch einen kühnen Sprung von der irdischen Scheibe auf das Mondgestirn springen.“

„Niemand kann so weit springen!“, schüttelte ein zerfurchter dürrer Mann sein Haupt in der viel zu großen Robe.

„Gewiss, Bruder Ignoranzio! Aus eigener Kraft nicht, aber …“ Lammfromm blickte ihm fest in die Augen, die im Flackerlicht einen wirren Tanz aufzuführen schienen. Die anderen Anwesenden blickten abwechselnd zwischen beiden hin und her. Lammfromm hatte die kritische Seele bewusst ausgewählt. Einerseits war Ignoranzio einer der ältesten Verfechter der Flachtheorie, andererseits der größte Nörgler auf der Burg. Würde Lammfromm ihn überzeugen, die anderen wären folgsame Scfhäfchen.

Der bereits eingeweihte Bruder Nagelkopf kam Lammfromm zuvor. Mit Schwung rollte er eine Konstruktionszeichnung auf dem Tisch auf.

„Ich habe im Auftrag unseres Bruders bereits alles berechnet. Mit einem von mir entwickelten Absprungapparat können wir Männer und Gepäck in der richtigen Bahn hinüberwerfen.“

Eigentlich wollte Bruder Nagelkopf das kleine Modell als Überraschung vorführen, doch Bruder Ingoranzio hatte es in einem Regal breits entdeckt, den kleinen Hebel umgelegt und so flog nun die wohl platzierte Maus in großem Bogen durch den Raum.

„Das Besondere an diesem Apparat ist seine Einstellmöglichkeit. Man kann die Geschwindigkeit der sich bewegenden Ebene, die Laststärke und die Wurfweite quasiexakt einstellen.“, verkündete Nagelkopf stolz, wobei er mehr auf sich und sein Genie zeigte als auf die Apparatur.

„Und wie kommt man wieder zurück?“, wollte Ignoranzio wissen.

Lammfromm und Nagelkopf sahen sich kurz an.

„Das ist einfach!“, kam Lammfromm Nagelkopf zuvor. „Wenn der Mond am nächsten Tag untergeht und der Mond nicht zu hoch, aber auch noch nicht zu tief steht, springen unsere Konquistadoren mit dieser Freifallkonstruktion unseres erfinderischen Bruders ab.“

„Und das funktioniert?“

„Wir haben es lange getestet. Erinnert Ihr euch zur letzten Messe an die Frage, wo die ganzen Katzen geblieben sind?“

„Sag Bruder“ Ein junger Novize meldete sich verlegen. „Wenn ich fragen darf, warum wollen wir zum Mond?“

Gönnerhaft legte Lammfromm seine Hand auf die Schulter des Bruders. „Wir reisen zum Mond und nehmen ihn nicht nur in Besitz, sondern beweisen dadurch auch, dass die Mondgläubigen kein lebendiges Wesen wie die Sonne anbeten, sondern lediglich Gestein. So schreiben es zumindest einige Astrologen. Andere schreiben etwas anderes, ja. Aber allen glauben, das kann man nicht, warum also dann nicht den Steintheoretikern glauben? Dann werden alle Mondgläubigen dem Sonnenglauben beitreten. Vom Mond aus lassen sich auch gut Steine auf Siebenhöfen werfen. Und außerdem könnte das Kloster groß in den Grundstückshandel einsteigen. Und mit ganz viel Glück bewahrheit sich das Gerücht, der Mond bestünde aus Käse. Dann hätte der Orden für alle Zeit ausgesorgt.“

„Potzblitz, Brüder!“ Ignoranzio streckte in einem Anflug von Leben seinen alten Körper, bis dieser knackend nachgab. Vermutlich das erste Mal seit Jahrzehnten wieder. „Ein Leben lang verfocht ich die Flachtheorie und ließ mir nichts vormachen. Ich werde jetzt nicht damit aufhören. Es ist nicht lang hin, bis mein Willensfeuer zurück zur Sonne kehrt und mein Platz in den Geschichtsbüchern ist noch leer.“

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