Die Bärin von Olgradir

Ich bin Lutijma, Tochter des Grafen Ivanko von Olgradir, Heerführerin der olgrischen Truppen und Erbin des Bärenthrons und dies ist der Bericht vom Ende und Anfang.

Noch einmal im Weißgebirge. Noch einmal die Hoffnung, dass wir endlich diese verdammte Hexenplage aus dem Karizukwald loswerden. Noch einmal auf der Suche der Quelle des Kohlewassers, das seit Jahren den Wald und damit unser Land vergiftet.

Ich zog bereits vor Tagen mit der blauen Hand Sayas und dem 7.Expeditions Corps los, um ein Lager nahe der Quelle für meinen Vater und das Gefolge all der Abenteurer, die wir zur Unterstützung gerufen hatten zu sichern und vorzubereiten. Darunter waren unter anderem die Equinoktier mit unserem mächtigen Freund Alexej, die schwarzen Raben mit dem erfahrenen Krieger Havar und Kardenius, der große Vertreter des Lichts.

Ich freue mich sehr auf meinen Vater. So viele Schlachten haben wir gemeinsam Seite an Seite geschlagen. Gegen die Duvar im Süden und gegen die Hexen des verseuchten Kohlewassers im Norden. Wir werden auch diesmal nicht scheitern und unsere Waffen gemeinsam nebeneinander erheben. Ich will ihn stolz machen, den Grafen von Olgradir.

Lutja ist in Olgrad geblieben – natürlich, unser kleiner Bücherwurm. Aber mit Vater reisen Baba Kurrah, seine Gefährtin und deren Tochter Aleftina, meine kleine Halbschwester. Ich bin gespannt auf sie. Sie soll große Fortschritte in der Akademie bei Alexej gemacht haben.

Schreie. Ich greife nach meinem Schwert und Schild und stürme zu meinen Mannen nach draußen. Vor dem Lager ist eine große Gruppe Barbaren mit Hexen aufgetaucht. Die sind so lästig, seit Tagen schon! Also hinein ins Getümmel, ich schlage vorwärts, schaue nach meinen Kameraden links und rechts. Die blaue Hand und die 7. Ex sind hervorragende Kämpfer und Soldaten. Schild an Schild halten wir die Stellung, als ich Lärm von hinter uns höre. Dann eine Stimme direkt neben mir. „Na, Töchterchen, wie ich sehe, hast du wieder Spaß.“ Mein Herz macht einen Sprung, ich grinse, als ich die altbekannte Axt in der Hand meines Vaters sehe und wir stürmen Seite an Seite nach vorn.

Nach der Schlacht, in der sich unsere Truppen vereint hatten, begrüße ich Vater, Baba Kurrah und Aleftina herzlich im Lager. Wir tauschen kurz die Erlebnisse der letzten fünf Tage aus und danach besuchen Vater und ich die Lager, um zu hören, was die ersten Kundschafter bereits entdeckt hatten:

In der Nähe des Lagers befindet sich ein weiter Sumpf, der von der Quelle des Kohlewassers gespeist wird und dementsprechend verseuchte Gedanken erschafft. Am Rande dieses Moores steht ein großes Gebilde aus Spinnennetzen, in denen eine riesige Kreatur zu sehen ist. Nachdem Baba Kurrah es sich angeschaut hatte, hat sie in dieser monströsen, missgestalteten Spinne oder Krähe ihre Schwester Baba Asha erkannt. Näher heran hat sich noch niemand getraut, denn die Weben sind stark und gefährlich und müssen zuvor dringend von Magiern untersucht werden. Tiefer im Sumpf kann man eine Höhle erkennen. Vielleicht befindet sich darin die Quelle des Flusses und das Ziel unserer langen Reise.

Ich sitze am Tisch und trinke mir gerade einen Met, da sehe ich aus den Augenwinkeln Vater ganz blass an der Taverne vorbeigehen. Neben ihm Aleftina, die konzentriert die Stirn runzelt und hinter ihnen einige Leute unter Waffen. Ich gehe hinaus, um zu sehen, was da los ist. „Die Stimme leitet mich. Sie führt mich in den Wald“ murmelt Vater. „Hörst du sie auch, Kalinka?“ Aleftina nickt. Ich folge verwirrt den Leuten, die allesamt meinen Vater in den Wald begleiten. Im Dunkeln stolpern wir durchs Unterholz. Plötzlich sehen wir an einen Baum gelehnt die Überreste eines Menschen und daneben einen dunklen Altar, in den eine Sonne eingearbeitet ist. „Sie ist hier. Die Stimme hat mich hierher gerufen!“

Während wir alle an dem Altar stehen und versuchen, herauszufinden, warum wir hier sind, wabert plötzlich eine große, undurchdringliche Nebelwand auf uns zu. Fast blind versuchen wir zu erkennen, was passiert. Eine Gestalt tritt aus dem Nebel auf meinen Vater zu. „Ivanko, mein Sohn. Endlich bist du hier.“ „Vater?“ Sie umarmen sich lange. Wie gebannt hören wir zu, wie die beiden Männer sich nach so langer Zeit unterhalten. Krailjak, der in der Arena bei einem unsinnigen Duell starb, das aus dem Suff geboren war und Ivanko, der schon unglaublich alt war, aber nicht älter als sechzig Jahre alt aussah. Dann erinnerte Krailjak, mein Großvater ihn an die Kerzenlicht-Prophezeiung. Ich hatte sie irgendwann einmal gehört und wieder vergessen. Sie sprach in Rätseln von einer Lebensaufgabe, von Schatten, die besiegt würden und einem Fluch, der gebrochen wird. Dem Untergang eines Lebens, der für ein neues Land gegeben müsste. Alle schauen den Grafen entsetzt oder betrübt an. Es ist klar, dass damit sein Leben gemeint ist. Mein Herz wird mir schwer, während ich sehe, wie mein Vater sich von seinem verabschiedet und die Gestalt im Nebel verschwindet.

Schweigend gehen wir durch den Wald zurück zum Lager. Ich bleibe neben meinem Vater, während er zu dem ein oder anderen geht, um ihnen zu erzählen, was geschehen ist. Mit hängenden Schultern stehe ich immer einen Schritt hinter ihm. Er nimmt mich in den Arm. „Sei nicht traurig, meine Tochter. Lass uns was trinken und das Leben feiern.“

Als mein Vater die Lager zusammenruft und einen Heerlagerführer bestimmen soll, stehe ich schweigend neben ihm. Ich kann das gerade nicht. Meine Gedanken kreisen wie wild um das, was ich gehört und gesehen habe. Sonst hätte ich mir das niemals nehmen lassen, meinem Vater zu zeigen, dass ich eine würdige Anführerin und Tochter bin. Stattdessen wird Havar gewählt, der mir diese Bürde erst einmal abnimmt. Mit einer brennenden Rede vereint er Kompanien und Abenteuer unter einem Ziel.

Völlig erschöpft suche ich mein Lager auf und falle in einen unruhigen Schlaf, gepeinigt von Träumen mit schrillem Gekreische und schwarzen Augen, die sich in meine Seele brennen.

Am Morgen wecken mich die Stimmen der Vögel und das Geklimper von Kochgeschirr auf den Feuern. Ich habe lange geschlafen und mit neuer Hoffnung kleide ich mich an, um den Tag zu begrüßen.

Das Licht ist mit uns und Graf Ivanko, Sohn des Krailjak ist ein starker und besonnener Mann, an dessen Seite eine mächtige Hexe, eine noch mächtigere junge Hexentochter und eine sehr entschlossene Erbin stehen. Viele tapfere Männer und Frauen sind uns hierher gefolgt, um ihm ihre Unterstützung zu geben. Wer sagt, dass dieses Ende der unglückseligen Kohlewassergeschichte auch das seine ist? Und wenn das Schicksal es so will, dann werde ich der neue Anfang sein und seinen Namen weiterführen.

Als erstes und noch vor dem Frühstück statte ich den Lagern einen kurzen Besuch ab, um zu hören, wie die Nacht verlaufen ist. Angriffe von Barbaren und Hexen hat es nicht mehr gegeben, auch, wenn Schatten und Lichter zwischen den Bäumen gesehen wurden. Doch einige mutige Erkunder hatten sich weiter entfernt vom Lager in den Wald geschlichen und etwas entdeckt. Ein mächtiger Baum erstrahlte hell in der Nacht und um ihn herum sollen kleine Steine liegen. Was es damit auf sich hat, kann uns noch keiner sagen, aber naturverbundene Mannen haben mit dem Baum sprechen können und erfahren, dass er nicht vom Kohlewasser beschmutzt ist, sondern diese Plage über seine Rinde absorbieren kann. Doch es fällt ihm immer schwerer und die anderen Bäume leiden.

Bei einigen Olgri werde ich zum morgendlichen Valodoka-Trunk eingeladen. Der Schnaps weckt immer Lebensgeister in mir. Ich greife nach der Flasche und leere sie zur Hälfte. „Das ist eine wahre Olgri!“ rufen sie und wir schlagen uns lachend auf die Schultern.

Während ich im Lager von der Bardenmagierin Taraxa und ihren Gefährten bin, ertönt lautes Getümmel am Rande unseres Lagers. Ich springe auf, um zu sehen, was passiert ist. Barbaren greifen uns an! Diejenigen, die sich schnell aufrüsten können, schließen sich uns an, um diese korrumpierten Menschen und ihre Hexenmeisterinnen zurückzuschlagen. Das fiese Geschrei der Hexen ruft Furcht in jedem hervor, der es hört. Kasimira, eine mächtige Hexe und Tochter der Baba Asha führt den Trupp der Angreifer an. Wie ich sie verabscheue. Ich spucke auf den Boden und stürze mich in Kampf, während wir sie langsam zurücktreiben. Als ich verletzt werde, ziehe ich mich vorerst hinter die Linien zurück, Baba Kurrah heilt mich mit ihrem merkwürdigen Singsang. Es tut weh – aber es hilft. Dann steht plötzlich Alexej neben mir mit seinem Buch in der Hand. Er murmelt einige Verse, während er sich auf mich konzentriert und ich spüre, wie sich eine unsichtbare Masse um meinen Körper legt. Sein magischer Schutzschild, ich spüre ihn, aber er beschwert mich nicht. „Na, meine Tochter, etwas Frühsport?“ sagt mein Vater zu mir. Lachend greife ich wieder Schwert und Schild und dränge mich erneut in die erste Reihe.

Das Frühstück in der Taverne mit der Familie ist fröhlich und unbekümmert. Der Tag begrüßt uns mit Freude und Leichtigkeit und meine Stimmung hebt sich.

In den nächsten Stunden plänkelt der Tag so vor sich hin. Die drei aus der Familie machen sich mit einem kleinen Trupp auf, den Baum zu untersuchen, während ich weiterhin im Lager bleibe und immer wieder kleine Angriffe mit der Unterstützung der anderen abwehre. Der Kommandant der 7. Ex gibt mir dabei stets einen kurzen Überblick über die Situation.

 Zur Mittagsstunde schlendere ich durch das Lager, um zu sehen, welche Fortschritte im Bezug des Spinnnetzes, der Höhle und des sprechenden Baums gemacht worden sind. Ich kann Havar nicht finden und gehe zur Lagerwache, die gerade von der 7. Ex gestellt wird.

Mit dem Kommandanten im Gespräch stehe ich gerade zwischen seinen Wachen, als wir Kampfeslärm hinter dem Hügel vernehmen. „Es sind einige Magier ausgezogen, um das Netz zu untersuchen.“ „Haben sie Kämpfer dabei?“ „Beim ersten Mal nicht. Jetzt werden sie begleitet von einigen Mannen unter Waffen, aber ich weiß auch nicht genau, was da passiert.“ „Wie, es weiß keiner, was da passiert? Sind keine Läufer da, die uns im Bilde halten?“ „Ich wüsste von keinem,“ antwortet der Kommandant. Ich höre einen gewissen Frust in seiner Stimme. „Was sollen wir jetzt machen?“ „Sofort den schnellsten Läufer losschicken, der uns die Situation schildern kann!“ befehle ich und der Kommandant setzt es sofort um. Nach wenigen Augenblicken kehrt der Informant zurück. „Überall Barbaren! Die Gruppe wird komplett aufgerieben.“ „Wieso weiß hier niemand Bescheid?! Wir stehen hier blind und drüben sterben unsere Leute!“ brülle ich und spüre, wie unbändiger Zorn in mir aufsteigt. „Ausrücken! Wir müssen den Rückzug sichern!“

Als wir die Lage wieder einigermaßen unter Kontrolle haben, so dass die Magier und Verletzten im Schutz der Kämpfer ins Lager zurückkehren können, koche ich immer noch vor Wut. Ein Mann berichtet mir davon, dass Havar mit Schmerzen auf seinem Lager liegt und dass eine Übergabe an die Vertretung nicht ausreichend durchgeführt worden war. Also liegt die Heerführung wieder bei mir. Als erstes fordere ich über die komplette Situation informiert zu werden:

Es wurden schwarze Kristalle gefunden, die die böse Aura des Kohlewassers versprühen. Sie liegen beim Orden des Lichts unter Verschluss.

Ein Mann namens Heinrich wurde von den Hexen entführt und zu einem Blutpakt gezwungen, bevor wir seiner wieder habhaft werden konnten. Der Prior des Lichtordens und der Schamane konnten ihn vom Kohlewasser reinigen, doch sein Blut zog ihn weiterhin zurück zur Hexe. Wir mussten ihrer habhaft werden, um Heinrich zu befreien. – Nachdem dieses geschehen war, kann Baba Kurrah bei seiner Befreiung helfen.

Ein anderer Höhleneingang im Sumpf wurde gefunden, dessen Barrieren durchbrochen und zerstört werden konnten. Jetzt, so glaubten viele, hätten wir die Möglichkeit Baba Asha zu besiegen.

Es wurden zwei weitere Bäume gefunden, die ihre Stimmen erheben und von einer Geschichte erzählen: Ein Mädchen, das ein anderes liebte und dadurch zur Mörderin wurde. Eine Erschaffung eines dunklen Kristalls. Ein Werwolf, der einen hungrigen Mann verschlang. Eine weitere Erschaffung eines Kristalls. Der Werwolf tot hängend am Baum. Noch ein Kristall wird erschaffen.

Es wird vermutet, dass aus den Kristallen eine Krone geschaffen werden muss, wie es in der Prophezeiung angedeutet wird.

Die vermeintliche Krähe zielt auf den Coven der Hexen hin, die sich Krähenschwestern nennen, könnte aber auch die Gestalt des Kohlevaters sein, der plötzlich immer wieder tief im Moor auftaucht.

Dann berichtet mir ein Mann in schwarz-roter Rüstung von den Ergebnissen am Rand des Moores. Die Magier glauben einen Weg gefunden zu haben, das Netz zu zerstören. Außerdem hätten wir jetzt genügend Balken im Lager, um über das Moor zu der Höhle gelangen zu können, ohne den vom Kohlewasser verseuchten Boden zu berühren und womöglich korrumpiert zu werden. Wir hatten bereits Vorfälle, in denen Menschen damit in Berührung gekommen waren und düstere Gedanken ihren Verstand umnebelten. Majut, oder Schwarz-Rot, wie ich ihn nannte, bot sich an, als Kommandant einer kleinen Expeditionsgruppe Leute zu versammeln, um sowohl Baba Asha zu vernichten als auch den Weg über das Moor zu sichern. Er soll neben den Magiern zehn Leute zum Schutz auswählen, sowie mindestens zwei Kundschafter und Läufer, die zwischen ihm und unserem Lager die Informationskette sichern, damit wir nicht wieder blind und unwissend dastünden, sondern handlungsfähig seien. Währenddessen würden die ernannten Baumeister mit den Balken einen Steg zur Höhle legen.

Gesagt, getan. Aus den zehn Mannen unter Waffen wurde dann zwar zweidrittel des gesamten Lagers, aber die 7. Ex bleibt als Lagerwache und auf Bereitschaft mit mir im Heerlager zurück. Ich informiere meinen Vater über die Situation und erhalte nun regelmäßig Berichte von der Hexenfront.

Nach einiger Zeit kommt die Nachricht, dass mehr Leute unter Waffen benötigt werden. Ein nicht endender Überfall der Barbaren und viele Verletzte würden die Situation verschärfen. Ich ziehe mit der 7. Ex aus, um die Lage unter Kontrolle zu bringen.

Wir kommen genau zur richtigen Zeit. Wir sichern den Weg ins Lager, so dass die Verletzten und Nicht-Kämpfer fliehen können, während wir einen Schutzwall, um den Rand des Moores zu bilden. Ein paar mutige Männer betreten die Höhle, um herauszufinden, was dort sich dort verbirgt. Ich rufe sämtliche Schützen dazu auf, die Hexen, die durch das Moor gehen können von der Höhle fernzuhalten und es funktioniert.

Währenddessen werden die Angriffe der Hexen immer schärfer. Ich werfe mich in die Kampfreihen, versuche jeden Weg und jede Lücke zu sehen und zu schließen. Pfeile prasseln auf uns herab, die Schreie der Hexen erfüllen uns mit Furcht, Barbaren mit riesigen Hammern und Äxten drohen, unsere Kampflinien von allen Seiten zu durchbrechen. Ich sehe Kasimira. „Stopft der Hexe endlich das Maul!“ Ich stürze mich in die Schlachtreihe vor ihr. Sie sieht mich und ich verziehe vor Wut und Verachtung das Gesicht. „Lutijma, kleines Bärenjunges. Kehr um und verlasse meinen Wald!“ Ich knurre nur als Antwort – Mit Hexen rede ich nicht. Ich sehe noch, wie sie ihre Hand erhebt, als sie sieht, dass ich mich auf sie stürze. Dann erfüllt ihre Stimme meinen Kopf und mein ganzes Sein. „Ich rufe das Kohlewasser! Lutijma, spüre, wie es in dir heraufsteigt. Es fließt durch deine Adern, lässt deine Muskeln reißen. Deine Knochen brechen. Jede Faser deines Körpers wird durchflutet mit der Kraft des Kohlewassers und endlosem Schmerz!“ Vor meinen Augen wird es schwarz. Weit entfernt höre ich einen Schrei – meinen Schrei. Ich falle auf die Knie und schreie, schreie. Ich spüre, wie ein Hammer auf mich herniederfährt und Alexejs Schutz zerbricht. Noch so einen Schlag würde ich nicht überleben. Aber es wäre egal, dann wäre ich endlich erlöst von diesem Schmerz! Ich spüre kaum die Hände, die nach mir greifen und mich zurück hinter die Schilde ziehen. Eine Frau schiebt mich auf ein Fell. „Wo bist du verletzt? Lass mich dir helfen!“ Ich kann nicht antworten. Noch immer ist alles schwarz. Ich spüre warme Hände an meiner Seite, aus dem das Blut vom Schlag des Hammers fließt. Und dann höre ich Kurrahs Stimme. Sie schwingt in mir und treibt ganz langsam den Schmerz und die Stimme Kasimiras aus mir heraus. Kraftlos falle ich auf das Lager und schließe die Augen.

Kurze Zeit später stürzt eine Bewegung in mein Bewusstsein und ich öffne die Augen. Ein Barbar steht direkt über mir und schwingt den Hammer auf einen Verletzten, der neben mir liegt. Mit aller Kraft greife ich nach meinem Schild, um ihn noch rechtzeitig zwischen Hammer und Fleisch zu schieben. Dann wird der Barbar von einem anderen Kämpfer erschlagen und ich kann wieder aufatmen.

Um uns herum toben immer noch Kämpfe, aber die Kraft der Hexen und Barbaren lässt langsam nach. Die Verletzten können mit dem Schutz unserer Krieger heil ins Lager zurückgebracht und versorgt werden. Einige sind durch das schwarze Kohlewasser korrumpiert worden und müssen von der Macht befreit werden. Wir können Jeden gebrauchen, der uns beim Kampf um die Quelle unterstützt.

Auch ich ziehe mich in unser Lager bei der Taverne zurück, um neue Kraft zu schöpfen. Der Tag hatte so gut angefangen… was hielt er jetzt noch für uns bereit?

Baba Asha ist vernichtet, der Weg zur Höhle frei und die ersten Ergebnisse erreichen das Lager. In der Höhle, in der die Quelle entspringt, herrscht völlige Dunkelheit. Nichts kann die Schwärze durchbrechen. Nicht mondänes Feuer, noch magisches Licht. Blind hatten sich die Mannen hervorgetastet. Nur der Prior konnte einen Schemen in der Dunkelheit erkennen. Vielleicht eine Hand, die sich emporreckt und etwas halten soll.

Weise Männer erinnern sich daran, dass das Blut eines Fürsten eine unbekannte Macht in sich trägt. Vielleicht würde diese Kraft uns helfen, gegen den Kohlevater zu bestehen. Wir nehmen jede Hoffnung mit, die wir finden können. Also lässt Vater sich von einer Landsknechtin namens La Boum Blut abnehmen, das auf den Waffen der mutigsten Männer und Frauen verteilt wird, um sie mit Kraft zu segnen.

Es ist Zeit. Vater steht neben uns und schaut uns nacheinander an. „Mein Honigbärchen, das war wohl das letzte Mal, dass wir gemeinsam zu Tisch saßen.“ -Honigbärchen. Immer, wenn Baba Kurrah das zu meinem Vater sagte, rollte ich genervt mit den Augen. Doch diesmal nicht. Ich sehe den Schmerz in ihren und seinen Augen. Kalinka nimmt unseren Vater in den Arm. Sie wirkt dabei so, als würde sie ihm all ihre Kraft und Mut schenken. Dann schaut er mich an. Wir wissen, dass ich an seiner Seite bleiben würde, egal, was passiert. Und dennoch sage ich es, als Versicherung für uns beide: „Ich werde stets neben dir kämpfen, Vater.“ Er nickt, sein Gesicht starr vor Wissen, Pflichtgefühl und Leid und ich spüre, dass mein Bauch sich zusammenzieht und mein Herz wird schwer.

In voller Rüstung ziehen wir aus zum Moor. Die Waffen erhoben, manche mit dem Blut meines Vaters gesegnet. Im Kreis der Familie schreitet mein Vater voran, die Axt der Bären in der Hand. Am Steg der Moorbrücke wählt er Einige aus, die ihn zur Höhle begleiten sollen, sowie die verschlossenen Kisten mit den schwarzen Kristallen hinüberzuschaffen. „Das Licht ist mit uns. Es wird dich schützen,“ murmele ich ihm leise ein letztes Mal ins Ohr.

Sicheren Schrittes überquert er die schmalen Balken, doch ich sehe all die Last, die seine Schultern niederdrückt. Ein junger Magier namens Lux, der Priester des Lichts und einige wenige Kämpfer geleiten ihn in die Höhle. Ich sehe ihn in dem schwarzen Schlund verschwinden und schlucke schmerzhaft. Meine Hand gleitet zu dem Schutzartefakt von Alexej, das mein Vater mir eben im Lager noch gegeben hat. Wieso wollte er nicht jede Hilfe, die er bekommen kann? Dann stürze ich mich voller Verzweiflung in den Kampf.

Von allen Seiten branden die Barbaren und Hexen mit voller Kraft gegen unsere Kampflinien. Dann höre ich Schreie von Seiten des Moores. „Der Kohlevater! Er kommt!“ Ein dunkler Schatten wirft sich auf uns und viele bleiben wie erstarrt mit großen Augen stehen, während sich die schwarze Gestalt in die Mitte unserer Leute bewegt. Voller Kraft greift sie um sich. Diejenigen, die die blutgesegneten Waffen tragen, werfen sich auf das Monster. Ich sehe nur noch Getümmel. Unsere Schlachtreihen werden aufgebrochen, die Hexen treiben uns mit ihren Schreien zurück, so dass die Barbaren sich direkt auf uns stürzen können. Es ist ein heilloses Chaos, niemand findet auf seinen Platz zurück. Atemlos kämpfe ich gefühlt an allen Fronten und merke, dass meine Kraft langsam schwindet. Baba Kurrah wirft sich ihrerseits in den Kampf und treibt einige Hexen und Barbaren immer wieder durch ihre Hexenkraft zurück. Ich sehe, dass ein direkter Angriff auf sie erfolgt. Aleftina, die in der Nähe steht, umfließt plötzlich eine mächtige Aura. Sie wächst förmlich riesenhaft in die Höhe, während eine unbändige Kraft aus ihren Augen und Armen fließt. „Nicht! Meine! Mutter!“ schreit sie und ich starre gebannt auf meine kleine Schwester, die nach vorn stürmt und mit einem einzigen Schrei sämtliche Barbaren vor ihr für immer verstummen lässt. Eine Gänsehaut der Furcht und Achtung kriecht über meinen Rücken und ich sehe Baba Kurrah, die stolz auf ihre Tochter blickt. Dann trennt uns ein Angriff des Kohlevaters erneut.

Plötzlich spüre ich durch den ganzen Kampfeslärm eine merkwürdige Stille in meinem Rücken. Ich drehe mich um und erblicke Vater. Er war es und doch auch wieder nicht. Aus seinem Körper fließt immer noch das ganze Leid der Prophezeiung und dazu eine dunkle Macht. Auf seinem Kopf trägt er eine schwarze Krone, in denen die Kristalle glänzen. Sein Gesicht ist durchzogen von Schwärze und seine Augen zeigen eine Verzweiflung, die ich zuvor noch nie an ihm gesehen hatte. Ich mache einen steifen Schritt zu ihm. „Vater…?“ Er blickt mich an. „Lutjima,“ flüstert er. Dann schwindet sein Blick und er tritt einen dumpfen Schritt auf die Hexen zu, die verwundert kurz still geworden sind. Sein Weg zieht ihn vor unsere Schlachtreihe, hin zu den verseuchten Menschen und Hexen. Voller Furcht werfen sich seine besten Freunde vor ihn. Greifen nach ihm, halten ihn und versuchen, ihn aufzuwecken aus dieser Düsternis. Doch er kommt nicht zu sich, schüttelt sie ab, geht weiter. Ich werfe mich auch vor ihn und für einen kurzen Augenblick gelingt es mir, zu ihm durchzudringen. „Lutjima, Tochter. Halte dich fern und kämpfe,“ spricht er und eine Eiseskälte ergreift meinen Sinn.

Immer wieder sucht mein Blick seine Gestalt, doch ich verliere ihn stets aus den Augen, während ich Schlag für Schlag gegen die Barbaren richte. Der Kohlevater verschlingt alles Licht um sich herum, die Krieger werden müde und ich sehe die Schlacht schon verloren. Plötzlich greift eine Hand nach mir. Ich drehe mich um und schaue in das angstvolle Gesicht eines Mannes. „Dein Vater braucht dich.“ Auch, wenn ich den Mann vielleicht kenne, ich erkenne ihn nicht. Verschwommen dreht sich alles um mich und ich folge ihm schweren Herzens mit tauben Beinen. Ich merke nicht, dass es keinen Kohlevater mehr gibt, höre keine Schlachtgeräusche durch meinen dumpfen Sinn. Dann stehe ich vor ihm. Groß und stark steht der Graf Olgradirs vor mir. „Tochter,“ ich mache einen Schritt auf ihn zu. Er reicht mir die Axt seines Vaters. „Du bist die Gräfin.“ Ich halte die Axt in den Händen, starre auf ihn, ein letztes Mal findet sein Blick den meinen. Dann hebt er seine Arme, greift nach der Krone, die unter seinen Händen zerbricht. Ein Energiestoß fährt durch alle Umstehenden und ein machtvoller Schrei durchdringt die Kehle des Mannes, der mein Vater ist. Er stürzt. In Zeitlupe sehe ich ihn fallen. Meinen starken Vater, zerbrochen.

Erstarrt schaue ich auf den leblosen Mann vor mir. Baba Kurrah stürzt zu ihm, während andere sich dicht um ihn drängen, um zu sehen, ob er noch lebt. Ich mache einen Schritt nach vorn. „Zurück!“ schreie ich heiser. Ein Mann neben mir sagt „Gebt ihm Luft zum Atmen.“ Ich falle neben meinem Vater auf die Knie. Baba Kurrahs Gesicht ist versteinert vor Leid und Trauer, als sie merkt, dass kein Atem mehr die Brust ihres Geliebten durchdringt. „Nein.“ Flüstere ich und blind lasse ich meiner eigenen Trauer ihren Lauf. Tränen und Schmerz drängen sich aus mir heraus. Ich zittere und Tränen überfluten mein Gesicht, fallen auf meinen toten Vater hinunter. Als ich den Blick hebe, sehe ich die Verzweiflung in Kalinkas Gesicht. Völlig verzerrt vor stillem Leid vermag sie keinen Ton herauszuschreien.

Als ich aufstehe und mir durchs Gesicht wische, spüre ich erneut eine Hand auf meiner Schulter. Es ist Havar. Auch ihm, einer der engsten Freunde Ivankos, meines Vaters, stehen Angst und Trauer ins Gesicht geschrieben, als er mich fragt, was jetzt geschieht. Ich schlucke und suche nach Baba Kurrah. Sie weiß genau, was Vater sich gewünscht hatte, doch ich sehe sie voll Trauer und Konzentration an einem Baum stehen und ein Gebet sprechen. „Bringt ihn ins Lager, bahrt ihn vor seinem Zelt auf.“ Versuche ich meiner zittrigen Stimme etwas Kraft zu verleihen. Fünf Männer greifen vorsichtig nach dem toten Grafen und nehmen ihn auf ihre Schultern. Ich gehe voran, ein Trauerzug folgt uns zurück ins Lager.

Vor dem Grafenzelt werden zwei Bänke zusammengestellt und mit vielen Fellen gepolstert. Mein Vater wird darauf gebettet. Einige Mannen beginnen, Abschied von ihm zu nehmen. Ich falle erneut neben ihm auf die Knie, spreche ein leises Gebet. „Du wirst mir so unglaublich fehlen, Vater.“ Schluchze ich ganz leise und nur für ihn und mich. Dann stehe ich auf und bitte den Kommandanten der 7. Ex, darum, eine Totenwache zu organisieren. Er nickt mit tränenblinden Augen und teilt seine Gruppe ein. Weitere Krieger und Abenteuer schenken dem alten Grafen von Olgradir, Ivanko, Sohn des Kraijlak Glück auf seiner letzten Reise.

Kardenius, der Priester des Lichts spricht mich an, dass er gerne eine Trauerandacht für Ivanko machen möchte und ich stimme zu. Er geht mit mir den Ablauf durch und fragt nach einem Herold, der für den Grafen spricht. Ich nicke und will diesen Herold finden. Zuerst gehe ich zu Havar, der vor Erschöpfung auf seinem Lager zusammengebrochen war. Dann gehe ich zu Alexej. Auch er ist einer der besten Freunde meines Vaters. Doch auch er lehnt diese Ehre ab. Tränen stehen auch in seinen Augen und er schaut mich müde an. „Ich kann es nicht.“ Ich nicke und gehe zum Kommandanten, dem verlässlichsten Mann, den ich kenne und bitte ihn um diese Aufgabe. Er wirkt sehr erschöpft, aber er kann diese Ehre nicht abweisen und stimmt zu.

Eine Menge Leute treten auf Baba Kurrah und mich zu, um uns ihr Mitgefühl zu schenken und mir gleichzeitig zur Grafenehre zu gratulieren, doch ich erkenne kaum deren Gesichter. Ich bin zu erschöpft vor lauter Traurigkeit.

Zur Trauerfeier erscheinen alle mit einem Krug, wie ich es mir für Vater gewünscht habe. Dann tragen sie ihn hoch auf den Hügel zum Altar, bei dem Kardenius bereits auf uns wartet. Ich gehe neben ihnen her, an meiner Seite Kalinka.

Der Kommandant lässt dreimal eine Glocke ertönen. „Wer kommt zu uns?“ spricht Kardenius und der Kommandant als Herold antwortet. Er zählt alle Titel auf, die mein Vater sich in seinem langen Leben verdient hat. „Ivanko, Sohn des Krailjak, Graf von Olgradir, Vater unzähliger Kinder, Beschützer seines Landes, … und Vernichter der Hexen.“ „Den kennen wir nicht.“ Antwortet Kardenius. Wieder läuetet der Herold die Glocke. „Wer kommt zu uns?“ „Graf Ivanko von Olgradir.“ „Den kennen wir nicht.“ Erneut läutet die Glocke. „Wer kommt zu uns?“ und der Herold antwortet ein drittes Mal „Ivanko, ein armer Sünder.“ „Den kennen wir.“

Die Männer legen den alten Grafen auf die Bahre vor dem Altar. Alexej bringt auf einem schwarzen Kissen die zerbrochene Krone und legt sie ihm auf seine gefalteten Hände. Dann spricht Kardenius die Andacht. Er erzählt von all den Taten, die er von Ivanko kannte und wieder und wieder schauen Kalinka und ich uns an. Schließlich ist es Zeit, dass auch andere das Wort erheben und ihre Geschichten erzählen. Von dem Freund, mit dem man immer feiern konnte, von dem Mann, der eine unglaubliche Geduld und Vertrauen hatte, von dem Kameraden, mit dem man Geschichten teilte, von dem Krieger, der stets seinen Nebenmann deckte. Taraxa singt ein wunderschönes Lied über ihn, dass alle zum Lächeln bringt.

Schließlich erhebe auch ich das Wort.  „Mein Vater hat viele Kinder gezeugt, die sicherlich bessere Redner sind, als ich es bin. Und doch will ich einige Worte sagen. Ivanko, der Bär von Olgradir, ein Graf, der seine Pflicht für sein Land erkannte. Ein Kämpfer in unendlichen Schlachten gegen die Duvar im Süden Sayas und den Hexen des Karizukwaldes im Norden. Lasst uns an ihn erinnern, dass er nicht in Vergessenheit gerät. Als der Mann, der er war. Ein großer Mann. Ein starker Mann. Ein liebevoller Vater. Ein Freund. Und wir wissen, er war ein Mann der Freude. Sein Motto war stets „Wein, Weib und Gesang“ und dieses Motto hat er bis zum Schluss gelebt. Also lasst uns auch heute feiern, wie er es sich gewünscht hätte. Lasst uns auf ihn trinken und auf den Tischen tanzen und einen Mann feiern, der Großes geleistet und uns alle in irgendeiner Weise berührt hat. In diesem Sinne, erhebt den Krug mit mir!“ Sie alle bekommen einen Schluck Valodoka in den mitgebrachten Krug und erheben ihn nun mit mir. Ich hatte den Krug meines Vaters auch mitgebracht und gefüllt. „Für dich Vater, ein letzter Schluck aus deinem Krug.“ Meine Stimme bricht und ich leere den Krug neben ihm aus. Dann stelle ich ihn neben ihn auf die Bahre und erhebe nun meinen. „Auf Ivanko!“ – „Auf Ivanko!“ antworten alle mit einer Stimme. „Auf den Grafen!“ – „Auf den Grafen!“ „Auf Olgradir!“ – „Auf Olgradir!“

Wir leeren die Becher, Kardenius beschließt die Andacht und wir bringen den Grafen zurück in sein Zelt, in dem er in der nächsten Zeit liegen würde, bis wir schnellstmöglich nach Olgrad zurückkehren, um ihn standesgemäß zu beerdigen. Ich schicke einen Boten zu Lutja, obwohl Baba Kurrah meint, dass sie mit ihrem Gebet, bei dem sie drei Haare ihres Liebsten mit dem Baum verbunden hat, all die Bäume bereits in Kenntnis gesetzt hat.

Dann beginnen die Feiern. Erst zaghaft, doch immer fröhlicher. Es wird gesungen und getrunken. Baba Kurrah und ich besuchen noch einige Lager, um mit ihnen einen Totentrunk zu nehmen. Im Lager der blauen Hand lerne ich den Braumeister Numro kennen, der ein Meister seines Faches ist. Er hat seinen fantastischen Met „Bärenwut“ genannt. Ein Met, der der Kehle schmeichelt und nur wenig an Wut erinnert. Ich habe ihn „Ivankos Trotz“ genannt und in dieser Nacht noch hundertfach ausgeschenkt.

Es ist schon fast Morgen, als ich auf mein Schlaflager falle. Was für ein wilder Ritt dieser Tag war. Ich schließe die Augen und sehe meinen Vater, wie er stolz auf mich herabblickt. Ich lächele und schlafe sofort ein. Als neue Gräfin, die Bärin von Olgradir.

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