Sekretär Dante sortierte noch einige Papiere, bevor er dem Mönch seine Aufmerksamkeit schenkte. Die kühlen Klostermauern seiner Schreibstube waren ungemütlich und Dante war es auch.
„Eigentlich sollte das Dach hergerichtet werden, aber naja. Die Priore beschlossen in ihrer unermesslichen Weisheit, die Gelder anders zu verwenden. Das hast Du wohl nicht vorhergesehen, Bruder Lammfromm?“
„Wie meinen?“ Der Servant des Sonnenordens beugte sich höflich mit einem Ohr vor.
„Deinen Reiseberichten ist zu entnehmen, dass Du der Wahrsagerei nachgehst. Entspricht das in etwa der Wahrheit?“
„Nun, das liegt hinreichend nahe an der Wahrheit. Nicht im Sinne scharlatanischen Hexenwerks, versteht sich. Meine Deutungen basieren auf wissenschaftlicher Exaktheit und haben nichts zu tun mit der Raterei fahrenden Volkes.“
„Du sollst sogar einem ausländischen Herzog die Zukunft gedeutet haben. Darf ich fragen, ob Du Deine eigene Heldenstatue auch vorausgesehen hast?“ In der Stimme des Sekretärs versammelten sich eine gewisse Missgunst all jener, die ihre Skepsis ob der ersteinerten Ehrung ihres Bruders durch den Baron noch nicht zu überwinden bereit waren.
„Oh nein. Nimmer würde ich mir erlauben, solcherlei vorherzusehen.“
„Das wäre ja auch sehr unbescheiden, nicht? Wie dem auch sei, Du bist über die Zukunftsdeutungen des Ordens informiert? Der Sonnenorden hat im Moment einen Zeichendeutermangel.
Dante stellte sich mit dem Rücken zu Lammfromm ans Klosterfenster und betrachtete den Sonnenuntergang. „Unsere bewährte Methode, die Sonne durch ein Okularoskop zu betrachten, um dort die Zukunft zu sehen, scheint sich nachteilig auf das irdische Sehvermögen auszuwirken. Bislang haben wir den Preis gerne gezahlt. Aber seit wir uns zu einem Wirtschaftskloster umgestalten, erweisen sich halbblinde Mönche als zunehmend unproduktiv. Wir brauchen neue Lösungen. Aber kein Handlesen und solcher Jahrmarktunfug. Die Deutung muss von oben kommen! Von ganz oben! Denn wo ganz oben ist, da sind wir.“
„Nun, ich habe mich durchaus in der Deutungskunst belesen. Neben dem Sonnenstand lässt sich auch aus Wolken lesen und aus Sternen …“
Dante schnellte herum. „Die Priore haben daher beschlossen, den Burgturm mit dem Okularoskop in eine Sternenwarte auszubauen. Für Wolkenlesen, Vogelschau, Sternendeutung, alles, was spendenfreudigen Gläubigen gegen klingende Münze einen Blick aus der Zukunft erhascht. Die Sternenwarte soll Suchende aus ganz Trum anlocken, egal welcher Konfession. Das ist eine sichere Bank, weil wir uns damit unsere Jahreseinnahmen immer selbst voraussagen können. Und außerdem wird es das Ansehen der Sonnenkirche mehren. Sieh dir nur die Ceriden an! Eine Religion, die nicht in die Zukunft schauen kann, hat keine! Und Du Lammfromm, wirst als Wahrsageberater dafür sorgen, unsere Sternenwarte zum präzisesten Zukunftsvorhersageapparat der ganzen Mittellande zu machen, oder …“
„Oder?“, fragte Lammfromm gleichfalls geehrt und verängstigt.
„… oder du wirst unserer neuen Abteilung wandernder Bettelmönche zugeordnet, welche dem einfachen Volk zeigen soll, wie Würde auch unter dem Los der Armut möglich ist.“
Äußerst Motiviert und gedrückt verließ Lammfromm die Kammer und atmete tief durch. Es gab viel zu tun. Er musste die besten Brillenmacher, Feinschmiede und Mechanici des Landes für dieses Okulatorium ausfindig machen. Außerdem brauchte er völlig neue Rechenwerkzeuge. Die Besorgunen würde er nicht alleine organisieren können. Vielleicht sollte er mit dem Handelshaus Böttcher in Kontakt treten. Böttcher war bekannt dafür, gute Münze über konfessionelle Glaubensfragen zu stellen. Und dann war da doch noch … ja diese neue Sternensekte, die seit kurzem in der Baronie umherstreifte. Ketzer, ohne Frage, aber wer sollte sich mit Sternen besser auskennen? Und sah nicht der Heilige Fliegenpeter, der bezeugt aus jeder Taverne flog, nicht jedesmal Sterne, wenn er aufschlug? Ist das nicht eine heilige Verbindung, die eine Zusammenarbeit rechtfertigte? Unverzüglich ließ Lammfromm von einem Laienbruder zwei Esel satteln und ritt aus, die Sternenanbeter zu suchen.