Anka – Allein in der Fremde

Oh nein! Wie konnte das nur schon wieder passieren?
Kaum in Siebenhöfen angekommen, war ich immer noch so durcheinander ob der Ereignisse in Dahle, dass ich mich kurzerhand ohne Nachzudenken auf einem Schiff wiederfand, das den Weg fort von Trum einschlug. So sehr ich auch schimpfte und bettelte, der Kapitän musste seine Route einhalten und brachte mich immer weiter weg von den mir bekannten Landen und Freunden.
 
 
 
Einige Zeit später legte das Schiff in einem Hafen einer großen Stadt namens Nordhorn an. Da dieses Schiff nicht allzu bald nach Trum zurückkehren würde, entschloss ich mich von Bord zu gehen und nach einer anderen Passage in die Heimat zu suchen.
 
Nordhorn ist eine wahrlich denkwürdige Stadt. Sehr groß und bunt und voll. Überall laufen laute Menschen herum, auf der Suche nach jedwedem Vergnügen. Zu späterer Stunde wirkte es, als würde die ganze Stadt eine große Feier feiern. So etwas hatte ich noch nie gesehen.
 
Ich suchte mir einen Platz in einer kleinen Taverne, in der ich für wenige Kupfer und einen Schlafplatz aushelfen konnte. Dennoch fühlte ich mich in dieser fremden Stadt zwischen all den lauten Menschen nicht besonders wohl, bis mich schließlich ein Mann ansprach. Er fragte mich, ob ich von Trum käme, er hätte das Wappen an meinem Gürtel erkannt. Ich strahlte ihn an, froh, einen Freund in Herrn Benedikt kennenzulernen und erzählte ihm meine Geschichte und wie ich hier her gekommen war. Sofort lud er mich für meine verbleibende Zeit in seine Taverne im Hinterland ein. Nordhorn sei nicht das richtige Pflaster für eine Trum´sche Magd, doch ohne Begleitung dürfe ich die Stadt nicht verlassen. Ich stimme ihm überrascht zu, war ich doch froh, jemanden zu haben, der sich meiner annahm.
 
Am nächsten Morgen verließen wir mit einem weiteren Mann namens Henning die Stadt. Mir fiel auf, dass die Schutzmaßnahmen von Nordhorn anders waren, als ich es gewohnt war. Die Wachen hatten stets das Land im Rücken, mit Blick auf die Stadt und das Meer. Große Ballisten standen nicht landeinwärts gerichtet, sondern andersherum, als wollten sie Nordhorn und dessen Bewohner einsperren und die Insel vor allen Fremden schützen. Wie merkwürdig… Doch ich verwarf diese trüben Gedanken schnell, ob der wunderbaren Reise über die Insel der Erschaffer, wie Herr Benedikt und Herr Henning sie nannten.
 
Meine Güte, war diese Insel schön! So etwas hatte ich bisher nur in meinen Träumen gesehen. Die Wiesen waren so grün und voller Sommerklee, der Himmel war so blau, wie frisch erblühte Kornblüten und keine einzige Wolke trübten diesen wunderschönen Tag. Bunte Vögel flogen fröhlich zwitschernd durch die klare Luft, in der der süße Geruch von Gras und Heu und Sommer lag. Die beiden Esel trippelten leichtfüßig den sauberen Weg entlang, der sich durch diese herrliche Landschaft zog. Ich konnte mich nicht satt sehen an diesem Land und redete gutgelaunt mit Herrn Benedikt und Herrn Henning über Abenteuer und fremde Länder, Geschichten und Götter.
 
Vor einem kleinen grünen Wäldchen hielt Herr Benedikt unseren winzigen Tross an und trat zu mir heran. Es schien ihm sehr unangenehm zu sein und ich wusste auch sofort, warum. Denn er bat mich, mir einen Sack über den Kopf zu ziehen. Den nächsten Abschnitt unserer Reise dürfe ich nicht sehend verbringen, denn wir würden ein Gebiet durchqueren, das nicht für fremde Augen bestimmt sei. Das war mir in der Tat nicht geheuer. Einzig, die bisherige Reise und Leichtigkeit, mit der die beiden Männer mir entgegen getreten waren halfen mir, das schlechte Gefühl zu überwinden und ich tat, wie mir geheißen. Die nächsten Stunden verbachte ich in völliger Dunkelheit unter dem Sack auf dem schwankenden Esel. Ich atmete die sticke Luft ein und bekam von außen kaum etwas mit. Doch hörte ich bald seltsame Geräusche an meine Ohren dringen. Schlagendes, metallisches Hämmern, stöhnende Laute, peitschende Knalle und dumpfe Rufe, ein gequältes Zischen und Dröhnen. Die stickige Luft schmeckte metallen auf meinen Lippen und ich rutschte unruhig auf meinem Sattel hin und her, krallte mich ein wenig fester in die kurze Mähne meines Esels. Die Laute klangen so unheilvoll und klagend. Mir war gar nicht wohl. Ich spürte, wie der Weg etwas anstieg, denn ich musste mich ein wenig nach vorn beugen, um nicht nach hinten zu rutschen. Schritt für Schritt wurden die Laute schließlich leiser, bis Herr Henning meinen Esel anhielt und zu mir trat.
 
Er zog mir den Sack vom Kopf und sagte, dass ich aber bitte nicht hinter mich blicken solle. Ich atmete gierig die frische Luft ein, die dennoch etwas rauchig schmeckte. Vor mir sah ich einen hohen Bergkamm mit einigen kleinen Wäldern und einer leuchtenden Stadt an einem der Hänge. Als die Esel sich wieder in Bewegung setzten und die Männer erleichtert voran schritten, wagte ich einen kurzen Blick über meine Schulter. Hinter mir sah ich eine weite, karge Landschaft inmitten eines Rings von Bäumen. Es leuchtete rot-braun von der Mitte her, wo schwarze Gebäude kalt und unheimlich wie Klauen in die Luft griffen und dunkler Rauch stieg von dort hinauf in den Himmel. Ich wandte mich schnell wieder der kommenden Landschaft zu, die genauso schön war, wie zu Anfang der Reise. Doch irgendwie konnte ich sie jetzt nicht mehr so sehr genießen…
 
Weiter oben den Berg hinauf trafen wir endlich in der Taverne von Herrn Benedikt ein. Ich fühlte mich sehr schnell heimisch. Sie hatte große Ähnlichkeit mit der Taverne, die ich auf Soodemundt gesehen hatte. Das war zwar ein recht furchtseliger Ausflug gewesen, doch erinnerte ich mich an meine Freunde, die mit mir gemeinsam dieses Abenteuer durchlebt hatten und ich seufzte. Herr Henning zeigte mir alles und ich richtete mich für die kommenden Tage ein.
 
Am nächsten Tag trafen plötzlich nach und nach immer mehr Leute in der Taverne ein und Herr Henning und Herr Benedikt, die sie scheinbar erwartet hatten, begrüßten jeden sehr herzlich. Wie eine große Familie kamen sie mir vor. Das fand ich sehr schön. Sie nennen sich „Die Knochenwalder“.
Sie erzählten alle unabhängig voneinander, dass sie von Amaris kämen. Dort sei es sehr gefährlich geworden. Amaris, so wurde mir erklärt sei eine Stadt im Belagerungszustand. Wo genau diese Stadt steht, weiß ich nicht, aber sie grenzt wohl an mehrere Länder und befindet sich im Kriegszustand. Lange Zeit waren diese Gefährten dort gewesen und hatten mitunter auch hohe Ämter bekleidet. Doch irgendwas war plötzlich geschehen, so dass ein Portal beschworen wurde, durch das sie gemeinsam entkommen waren. Sie sprachen von großen Lindwürmern und anderen gefährlichen Abenteuern. Sie schlugen sich lachend gegenseitig auf die Schultern und waren froh, dort heil heraus gekommen zu sein. Gespannt lauschte ich ihren Geschichten, in denen sogar einige meiner Freunde auftauchten. Ekarius und Henna, die sich Seite an Seite mit den Knochenwaldern schlugen, Elder, die schon so manchen von ihnen nach einer Schlacht wieder zusammengeflickt hatte. Es tat mir gut, von ihnen zu hören.
 
Ein anderer Heiler war auch zu diesem Zusammentreffen gekommen, den ich bald sehr gut leiden konnte. Herr Balduin berichtete mir, dass er mit Elder Forschung in Amaris betrieben habe. Ich solle sie bitte herzlich von ihm grüßen und ihr sagen, dass er ihr schon bald schreiben wolle. Da er auch ein Fremder auf dieser Insel ist, wurde auch er seiner Sicht in diesem seltsamen Tal beraubt, trotz dessen er schon lange Zeit mit den Knochenwaldern befreundet ist. Das nahm mir ein wenig das laue Gefühl im Magen, doch gänzlich verschwinden wollte es dennoch nicht. Wir verbrachten die meiste Zeit des Abends zusammen, denn trotz der großen Gruppe der Leute kamen wir uns etwas fremd vor. So machten wir uns auch gemeinsam zwischendurch auf die Suche nach ein paar verlorenen Fässern, die Herrn Benedikt wohl aus dem Keller gestohlen worden waren. Doch fanden wir nichts, das uns auf eine Spur brachte.
 
Den restlichen Abend wurde gelacht und geschmaust. Es gab eine ausgefallene, gute, aber sehr scharfe Suppe mit Brot, Falschen Hasen und andere Leckereien. Geschichten über die Insel wurden mir erzählt. So hat die Insel der Erschaffer ein ganz anderes System, wie ich es von Trum her kenne. Die Herrschaft ist nicht auf Barone und deren Lehen aufgeteilt, sondern in sogenannten „Kasten“. Es gibt verschiedene davon. Die erste Kaste ist den Magiern vorbehalten, die scheinbar den größten Einfluss haben. Dann gibt es noch eine Kaste für Krieger und eine für Handwerker. Menschen, die keiner Kaste zugeordnet werden, nennt man Kastenlose und sie sind manchmal sogar noch weniger wert als Sklaven. Denn diese sind auf der Insel der Erschaffer tatsächlich vorhanden. Auf Trum gibt es keine Sklavenhaltung und ich dachte auch kurz an meine Freunde von der Tyra Lorena, die das sicherlich gar nicht gut finden würden, doch die Knochenwalder versicherten mir, dass es gar keine Schande wäre, hier in einem guten Hause ein Sklave zu sein.
 
Besonders spannend fand ich ein Gespräch mit Herrn Hektor und Herrn Iwan. Hektor erzählte mir von einem bekannten Haus in Nordhorn, das auch Herr Benedikt bereits öfter erwähnt hatte: Der Dusterbau. Er meinte, dass einem dort jeder Wunsch erfüllt wird. Wirklich jeder. Und je tiefer man in den Dusterbau hineinkommt, desto ausgefallener können die Wünsche eben sein. Das klang so fantastisch! Ich werde auf dem Rückweg auf jeden Fall mal dort einen Besuch machen. Vielleicht geht dann von mir ja auch der ein oder andere Wunsch in Erfüllung…
 
Plötzlich trat ein großer Mann auf, der mit laut schallender Stimme „Knochenwaldeeeeeer zum Apell!“ rief. Augenblicklich kam Leben in die gemütlich zusammensitzenden Gestalten. Sie zogen schnell vor die Taverne, wo sie sich in einer Reihe aufstellten. Ich machte große Augen. Das sollte sich Herr Ekarius mal ansehen! Welch eine Zucht und Ordnung! Ich sah vor meinem inneren Auge schon jede Menge Männer in Gelb in Reih und Glied vor den Mauern Siebenhöfens stehen und lachte in mich hinein, bis mir wieder in den Sinn kam, was in Dahle geschehen war. Ich seufzte und beobachtete weiter die Geschehnisse in diesem fremden Land.
 
Der Apell vollzog sich sehr schnell und bald schon saßen wieder alle gemütlich um das knisternde Feuer. Manch einer legte den anderen Wahrheitskarten über die Zukunft, wieder andere sangen Lieder über die erlebten Abenteuer und der Tag neigte sich langsam dem Ende. Ich fühlte mich recht wohl, doch vermisste ich meine Freunde und mein Land. Die Bräuche hier auf der Insel waren spannend, doch so fremd, dass ich mich nach der Heimat sehnte. Bald schon würde ich wieder zuhause auf Trum sein.
 
by Anka

 

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