Tagebuch der „Frenya Mutbrecht“

Ich bin die Hüterin der Alten Eiche und Mutter von Arnd und Dargen Mutbrecht. Wenn Ihr meine Zeilen lest, so werde ich entweder in Gefangenschaft, oder gar dahingeschieden sein. Ich bitte Euch, haltet meine Erinnerungen in Ehren, denn vielleicht werden sie Euch eines Sonnenlaufes hilfreich sein.

Einleitungsklausel

…an die Alte Eiche (forn eik).

Einst begab es sich, dass ein Mädchen von einem wilden Wildschwein davoneilte. Sie hatte nur die kleinen Frischlinge der Bache streicheln wollen, doch das Tier hielt sie für eine Bedrohung. Das Mädchen eilte durch den tiefen Wald und gelangte an jenen Ort, wo dieser Tage das Dorf Sognefjord errichtet steht.

Zu der Zeit des fliehenden Mädchens jedoch waren die Ufer des Farmad unberührt; nur einzig von Muttererdes freier Hand geformt.

Das Mädchen weinte in ihrer Angst um ihr Leben und als sie keinen Ausweg fand, vergrub sie sich in einem Haufen aus Eichenblättern.
Die Bache machte kehrt, als sie das Mädchen aus den Augen verlor.

Als das Kind pochenden Herzens aus dem Haufen der Eichenblätter wieder hervorlugte, spürte sie eine sonderlich große Eichelfrucht unter ihren Händen. Als sie sie betrachtete, leuchtete ihr die Kraft Muttererdes in tiefstem Blau entgegen. Lange sah das Mädchen in diesen Schimmer. Dann riss sie sich los und vergrub jene wunderliche Eichel im feuchten Waldboden.

Sommer vergingen und die Eiche wuchs zu einem jungen Baum heran. Das Mädchen gedieh zu einer Frau und als es an der Zeit war mit ihrem Gemahl auszuziehen, um einen eigenen Hof zu gründen, kehrte sie zu dieser Eiche zurück.
Hier sollte von nunan das Dorf Sognefjord erblühen. Und auch der Ruf Muttererdes erreichte die junge Frau.


Einleitungsklausel

…an die Ankunft der drei Drachenboote.

Drei Drachenboote kamen einst den Farmad hinaufgefahren. Das Erste von ihnen mit Kriegern, das Zweite von ihnen mit Bauern und das Dritte von ihnen mit Gelehrten bemannt. Allen voran von dem Hünen Ragal angeführt.

Sie landeten am Ufer Sognefjords und begannen Angst und Schrecken zu verbreiten. Die ersten Dächer der Bauern brannten bereits, bis Ragal sich der strahlend schönen Primarda gegenübersah.

Wer der Liebe im ersten Anblick misstraut, sei nun lügen gestraft. Denn von jenem Augenblick an wurden die Nordmänner sesshaft und ergänzten das einfache Dorf mit Schwert und Schild, ihrem Wissen im Ackerbau und dem Wissen der Gelehrten.

Der Glaube an die Kraft Muttererdes gedeihte weiterhin neben dem neuen Glauben an die Weltenesche mit den Göttern des Nordens. Schamanen und Hüter/Hüterinnen der Alten Eiche gewährten fortan ihrer gegenseitigen Bestehen.


Einleitungsklausel

…an das Leben mit Mutbrecht dem Gerechten.

Die Liebe zu Mutbrecht meinem Gemahl entflammte einst in der Nacht einer Sommersonnenwendfeier. Jeden Sommer gab es sie in Sognefjord. Dutzende Blumenkränze errichteten wir im Dorf. Und die Drachenboote wurden bis auf die letzte Planke gereinigt und ebenfalls geschmückt.

Barden spielten auf dem Marktplatz auf, Fahrende Künstler boten ihre Geschichten aus der Ferne feil und all unsere Nordmänner maßen sich darin Methörner zu leeren.  Wem es nach einem dutzend Hörnern im aufgehenden Mondlicht auf einem Seil mit fünf Knoten zu balancieren gelang, dem sollte der Kuss einer Jungfrau vergönnt sein.

In jener Nacht war es Mutbrecht, der nach all dem Met die fünf Knoten bezwang und mir einen Kuss stahl. Oder sollte ich schreiben, dass ich ihm diesen schenkte? Denn kurz nach meiner Berührung, brach der Hüne vor meinen Füßen zusammen.
Schon zu jener Zeit wusste ich um meine Gabe um Muttererde und darum sie berühren zu vermögen, um mit ihrer Kraft zu heilen. Ich ließ Mutbrecht die Trunkenheit vergessen und reinigte sein Inneres.

Von jenem Ereignis an wuchs das Band zwischen uns und als wir Vater und Mutter von zwei stolzen Söhnen wurden, vermochte sich niemand mehr zwischen uns zu stellen.

Auch Ratger der Schamane, der Vertreter des Glaubens der Nordmänner, schien die Kraft Muttererdes gewähren zu lassen. Mindest erinnere ich mich nicht daran, dass während der Anwesenheit meines Gemahles, der bald Dorfältester Sognefjords und damit „Primgal“ gerufen wurde, jemals Versuche bereitete einem Hüter oder der Hüterin der alten Eiche Scherereien zu machen.
Alles erschien friedlich und während ich unseren Sohn Arnd in all meinem Wissen und meinen Gaben unterrichtete, so unterrichtete Mutbrecht den älteren Dargen darin, wie ein Krieger zu denken und zu handeln. Mutbrecht war ein weniger nachsichtiger Lehrmeister, als er meinergegenüber Gemahl zu sein pflegte. Vielleicht war es unausweichlich, dass Dargen zu dem wurde, was er heute zu sein scheint.

Nachdem zwei Sommer schlechte Ernten unserer Bauern den Wohlstand des Dorfes gefährdeten begann Mutbrecht bald nach einem Ausweg dieses Geschehens zu suchen.

Nicht selten mochte ich ihm darum berichtet haben, dass Muttererde neben unserer profanen Ebene auch die Ebene der Geister, die sakrale Ebene unterhält. Und als er von mir vernahm, dass so manch ein verblichener Geist in der sakralen Ebene noch nicht zurück in den Kernsee Muttererdes zurückgefunden hat, begann die Idee in seinem Haupt zu reifen die Geister der alten Bauern aufzusuchen und ihnen die Geheimnisse des grünen Anbaus zu entlocken.
Er nahm zwei Drachenboote mit sich und ward von jenem Sonnenlauf an niemals mehr erblickt. Wir ersehnten seine Rückkehr von Mondlauf zu Mondlauf mehr, denn schickte sich Dargen an die Nachfolge Mutrechts anzutreten. Er führte sich bereits auf, als sei Mutbrecht gefallen.

Derweil weiß ich, dass Mutbrecht sich wahrlich in „Sakralte“ verloren hat. Wie so viele vor ihm, wird er ohne die Hilfe eines Begabten nie zurückfinden. Das Wissen der Alten bleibt uns damit noch immer verwehrt.


Einleitungsklausel

…an den Streit der Söhne und Arnds Aufbruch.

Unser Sohn Dargen ist und war nie ein Mann mit viel Geduld und Einsicht. Zwar vermochte mein Gemahl Mutbrecht ihm die Künste des Kampfes, Mut und eisernen Willen beizubringen. Doch Mitleid, Geduld und Einsicht, das fehlen unserem ältesten Sohn.

Es schien somit nur eine Frage der Zeit bis Arnd und Dargen in ein Gerangel gelangen würden.

An dem Sonnenlauf Arnds Aufbruchs, hatte Dargen bereits zwei, oder drei Hörner Met geleert. Die jungen Männer die Dargen begleiteten waren ebensolche Raufbolde, wie es unser ältester Sohn bereits geworden war. Sie mussten Arnd wohl zu Boden gedrängt haben und versucht ihm gegen den Willen Met einzuflößen.

Ich selbst hatte Arnd stets gelehrt, dass er sich in Enthaltsamkeit im Metgenuss üben möge. So wehrte er sich mit allen Mitteln die ihm zur Verfügung standen.
Als ich zu den Männern stieß, vermochte ich gerade noch zu verhindern, dass Dargen mit seinem Dolch ein zweites Mal auf Arnd zustieß.

Sie alle waren aufgebracht und Arnd brach noch am selben Sonnenuntergang auf, um nach Mutbrecht zu suchen. Sein Vater möge Dargen für seine Taten zurechtweisen und den alten Wohlstand in das Dorf zurückbringen, der von Winter zu Winter immer weiter abnimmt, hatte er gesagt. Arnd trägt einen guten Geist in sich.

Ich gab ihm Mutbrechts Abschiedspergament mit auf die Pfade der Suche, in der Hoffnung, dass Arnd herausfand, was mit seinem Vater geschehen war. Zu jener Zeit wusste auch ich nicht, dass Mutbrecht „Sakralte“ wahrlich gefunden hatte und sich darin verlieren würde.


Einleitungsklausel

…an die finsteren Taten Dargens.

Je länger Arnd davongegangen war, desto mehr fürchtete Dargen er würde Mutbrecht tatsächlich zurückbringen. Unser älterer Sohn begann einen regelrechten Hass gegen Arnd zu entwickeln. Und es war unübersehbar, wie sich Ratger diesen Hass mehr und mehr zu Nutze machte. Ratger lenkt Dargen ohne, dass sich unser Sohn diesem Einfluss bewusst zu sein scheint.

Ich tat alles mir mögliche, um Arnd über die Geschehnisse in Sognefjord zu unterrichten. Ich entsendete ihm die Aufzeichnungen über neue nachtschwarze Drachenboote, die Dargen zu bauen gedachte. Derweil liegen neben dem Drachenboot der Alten zwei der schwarzen Boote aus Dargens Bauauftrag an den Stegen Sognefjords angetaut.

Ich versuchte Verbündete für Arnd auszumachen. Auch der Bootsbauer Sighvarth Brendboe kam mir in den Sinn. Seinerzeit wachste er die alten Planken eines der alten Drachenboote, wechselte die alten Seile und Takelage und tauschte einige der Bugplanken, die bereits von den Algen zu sehr befallen waren. Neben all den eisernen Nordmännern erschien mir Brendboe als vertrauenswürdigster Mann.

Und dann begann Dargen die Schätze aus den Kellergewölben feilzubieten. Nicht nur, um die Bootsbauer, Seiler und Weber zum Bau der schwarzen Drachenboote zu entgelten. Nein, er begann auch Krieger anzuwerben, die eines Sonnenaufganges für ihn kämpfen würden. Sie alle musste er bei Laune halten. Und dies gelang ihm nur mit den alten Schätzen Ragals.

Es war unausweichlich, dass Dargen auch selbst bald auf Beutezüge gehen würde. Denn der Schatz von Ragal wäre eines Sonnenlaufes aufgebraucht und dem Aufruf der Krieger folgten zu viele. Ich habe sie bereits einige Nächte mit den schwarzen Schiffen fortsegeln sehen.

Die unbedachteste Tat seinen Männern zu befehlen, sie mögen unsere alte Eiche fällen, war nicht die Schuld unseres Sohnes. Dargen war trunken und Ratger sprach ihm schon lange zu, dass die Eiche noch der einzige Grund sei, warum die letzten in unserem Dorf sich dem Glauben der nordischen Götter verweigerten. Ich verzeihe unserem Sohn für dieses Fehl.


Einleitungsklausel

…an den elenden Schamanen „Ratger“.

Seit jeher höre ich die Lüge in den gesprochenen Worten Ratgers (dem Schamanen). Als er noch Lehrling seines Meisters war, verhielt sich Ratger eher wie ein Schatten dessen, als als heranreifender Nachfolger. Niemand nahm Ratger wahr, bis sein Meister eines Nachts überraschend zu seinen Göttern aufstieg. Viele in unserem Dorf flüsterten, dass Ratger dem Meister zum Tode verhalf. Doch niemand wagte Ratger dieser Behauptung anzuklagen.

Sommer vergingen und Ratger begann seine eigenen Lehren der Götter zu entwerfen. So manch ein Gebot klingt noch diesen Sonnenaufganges mehr danach, als verhelfe es Ratger selbst zu mehr Macht, als dass es den Gläubigen Kraft aus dem Glauben an die Götter schenken würde.

Mutbrecht mein Gemahl ließ die Lehren Ratgers an sich abtropfen. Nicht zuletzt auch, weil er schließlich die Fähigkeiten seiner Gemahlin. Meine Fähigkeiten am eigenen Leib erfahren hatte. Mutbrecht wusste stets, wenn ein Mensch ihm Lüge oder Wahrheit bot.

Warum ich Mutbrecht und Ratger gemeinsam mit den zwei Drachenbooten habe ziehen lassen ist mir bis zu diesem Sonnenlauf nicht so recht gewahr. Die Zeit besagt jedoch, dass Ratger als einziger Nordmann unseres Dorfes zurückkehrte. Menschen die mir wohlgesonnen waren zweifelten, doch jene die ihren Schamanen heil zurückgekehrt wussten, glaubten nun stärker an den Schutz der Götter, als je zuvor.

Von da an war der Machtanstieg des elenden Schamanen unaufhaltsam. Dargen verfiel ihm, sämtliche Krieger verfielen ihm, dann folgten Handwerker und Händler. Alle, die noch der Kraft Muttererdes trauten, waren die Bauern unter uns. Und seit dem stetigen Anstieg an Fremden im Dorf, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch sie Ratger verfallen. Für Muttererde gibt es keinen Platz mehr.


Einleitungsklausel

…an die Ankunft des „Fremden Kriegers“.

Nachdem die Männer unsere alte Eiche gefällt wussten, habe ich mich dem Dorf losgesagt und mir in den Tiefen des Waldes einen Unterschlupf errichtet. Regelmäßig kehrte ich zum Stumpf der Eiche zurück, um den schwachen Hauch ihrer abklingenden Kraft in mich aufzunehmen.

Wenige Sonnenstrahlen fanden den Pfad zur Erde hinab, als ich Ratgers Steinaltar am Stumpf der Eiche wahrnahm. Dies mochte zu dem Schamanen nur zu gut passen. Den Triumph über die Hüter und Hüterinnen der alten Eiche unterstrich er mit dem Aufbau des Altars an unserer Stätte der inneren Einkehr.

Doch nicht der Altar selbst gewann meine Aufmerksamkeit, sondern der Mann, der darauf gefesselt lag. Ich wusste, ich würde ihn nicht entführen dürfen, doch zur Flucht verhelfen, das lag durchaus in meiner Macht. Somit löste ich den Verschluss der Eisenfesseln, prüfte ob noch Leben in diesem Leib verblieben war und überließ ihn seinem Schicksal.

Die Sonne fiel gen Horizont herab und als ich vor Einbruch der Dunkelheit noch einmal nach der Eiche sah, lag der Mann im Gras. Ich fasste mir ein Herz und schleppte ihn in den Schutz des Waldes.

Sonnenläufe vergingen und ich mühte mich den Fremden zu Bewusstsein zu verhelfen. Doch er träumte einen fortwährenden Traum.

Bald überraschte mich Ratger. Er fand das Versteck, berichtete mir darum, dass dieser Mann ein „Krieger des Südens“ sei, vergiftete meinen Leib und befahl mir den Krieger zurück in seine Heimat zu geleiten. Sowenn ich meine Aufgabe erfolgreich erfüllte, würde ich vielleicht geheilt.

Ich spürte Angst und gleichsam Verzweiflung. Doch da mein Amt als Hüterin der Eiche verfallen war und dies vielleicht ein Kampfgefährte meines Sohnes Arnd sein mochte, blieb mir wohl keine Wahl.

Ich suchte die letzten mir getreuen Menschen aus dem Dorf auf, die mir bereitwillig zur Seite stehen würden. Sie stellten uns Kutschen, Pferde, Speisen, standen mir beiseite und wussten darum, dass wir unsere Heimat für unbestimmte Zeiten verlassen würden. Sie schworen dem Ziel meinen Sohn aufzufinden solch treue, dass es mir eine Gänsehaut bescherte.

Wir betteten den Krieger auf Felle in einer der genehmsten Kutschen und brachen gen Süden auf.


Einleitungsklausel

…an die „Reise gen Süden“ 1. Sonnenlauf

Wir reisten mit drei beplanten Kutschen und jeweils einem Kaltblüter voran. Auf Flehen der Jüngsten unter uns, nahmen wir auch zwei Ponys und eines der guten Reitpferde mit auf die Reise.

Grauer Himmel begleitete uns, während wir zu Beginn von einem Wall zum Nächsten kutschierten. Tore und ihre Wachmänner beäugten uns neugierig. Doch da wir uns gen Süden hielten, schien es sie nicht sonderlich zu belangen, wie unsere Namen und das Begehr lauteten.

Wer je eine Zwiebel zubereitete, der würde eine gewisse Ähnlichkeit zu diesem Bollwerk finden. Wall um Wall zogen, wie Schale um Schale einen schützenden Bogen um den empfindsamen Kern. Dargen ließ Sognefjord mehr um mehr zu dem Kristallherz eines ganzen Landstriches werden.

Die nächsten Dörfer der uns sonst so nahestehenden Clans waren zu meinem Erschrecken entweder zu Asche niedergebrannt, oder zu einer weiteren Barackensiedlung für Finsterlinge ausgebaut. Bis wir die Wälle hinter uns wussten sprachen wir nicht viel. Gelegentlich sah ich nach dem armen Kriegersmann auf unseren Fellen. Er war wahrlich zugerichtet worden. Dass er noch immer Leben in sich trug grenzte beinahe an einem Wunder. Doch vielleicht hatte er ja ebensolch einen Auftrag erhalten, wie er mir nun zuteil geworden war.

Mit gewisser Vorfreude darauf meinen Sohn und Schüler wiederzuerblicken hoffe ich darauf, dass die nächsten Sonnenläufe klarer und mit mehr Sonnenstrahlen versehen sein werden.


Einleitungsklausel

…an die „Reise gen Süden“ 2./3. Sonnenlauf

Die beiden folgenden Sonnenläufe erschienen ruhig. Das Grau des Himmels hellte auf und gar einige Lichtstrahlen fanden ihren Pfad gen Erde.

Die mir so getreuen Mitwanderer begannen Fragen zu stellen. „Ob es je eine neue Eiche geben würde.“, fragten Sie. Oder „Wie ich so sicher sein mochte, dass Arnd in der grünen Burg auf uns wartete“. Ich war mir keiner einzigen Antwort gewiss. Doch meine Hoffnung überwog jeden Zweifel.

Manchmal glaubte ich, dass der Krieger auf den Fellen die Augen öffnen würde. Doch stets, wenn ich sein Erwachen erwartete, verfiel er doch wieder der sonderlichen Nachtruhe. Es war beinahe, als sei er verflucht worden.

Beim Sammeln des Feuerholzes in der Nacht schnitt sich einer unserer Männer mit dem einfachen Messer beinahe einen Finger von der Hand. Gut nur, dass wir Verletzungen erwartet hatten. So vermochte ich flink einen Blutung stillenden Verband anzulegen.

In der gleichen Nacht noch hörten wir Wölfe heulen und ein Rabe krächzte nahebei. Nicht, dass die Tiere in Sognefjord nicht ebenfalls ihre Heimat wüssten. Ich spürte jedoch mehr und mehr, dass wir verfolgt wurden. Wenn nicht von all diesen Tieren, dann von einem Mann, der nicht erkannt zu werden wünschte. Und nein, auch in dem war ich mir gewiss. Ratger würde den Schutz des Kristallherzens niemals verlassen!


Einleitungsklausel

…an die „Reise gen Süden“ 4./5. Sonnenlauf

Die Schmerzen in meiner Brust nahmen zu. Und wenngleich ich es stets versuchte das Leid aus meinem Gesichtsausdruck zu verbannen, so mochte es den Aufmerksamen aus unserem Tross gewiss nicht entgehen, dass etwas mit mir nicht stimmte. Wenn sie mich eines Sonnenaufganges fragen, so werde ich ihnen antworten, dass ich mich nach der Berührung Muttererdes sehne und nur darauf warte eine neue Heimat zu finden. Ich bin eine schlechte Lügnerin.

Ich hoffe so sehr darum, dass die Eichel meinen Sohn erreichte. Ohne sie wird es für ihn unsagbar schwer die Kraft Muttererdes in eine frische Eiche zu rufen.

Zu meiner Verwunderung glaubt Marta den Krieger für einen kurzen Augenblick erwacht erblickt zu haben. Er hätte gesagt, dass man ihn Angus riefe und wir eilig seinem Hauptmann über seinen Zustand berichten mögen. Ich bin mir gewiss, dass es besser sei, er würde seinem Hauptmann selbst Bericht erstatten.


Einleitungsklausel

…an die „Reise gen Süden“ 6. Sonnenlauf

Ein ereignisreicher Sonnenlauf liegt hinter uns. Der Sonnenaufgang schien freundlich und einladend. Er trieb uns an früh aufzubrechen und die Pferde etwas schneller anzutreiben. Der Duft der Heidewiesen liegt noch immer in meiner Nase und das Geräusch der Pferdehufe klingt in meinen Ohren nach.

Der raue Pfad ließ unsere Kutschen knacken und knarzen. So war es wohl unvermeidbar, dass eines unserer Kutschräder brach. Jäh nahm unsere Zuversicht ein Ende. Die Sonne lachte über uns, doch uns war es nach Donnern. Die Männer versuchten das Rad dürftig zurück in Dienst zu bringen. Es gelang ihnen jedoch nicht.

Dann waren dort die Männer mit  weißer Schlange im Aufdruck. Sie umrundeten uns und lächelten finster. Sie sprachen davon, dass die Götter niemanden neben sich dulden. Und, dass mit dem Fall der Alten Eiche, die Kraft der Muttererde versiegt sei. Es bereitete mir größte Mühe die Männer in meinem Tross besonnen zu halten.

Einer der Finsterlinge griff nach der kleinen Marta und drückte ihr eine Dolchspitze an den Hals. Ein weiterer Wortwechsel und alles darauf geschah so flink, dass es mir selbst nun noch schwer zu ordnen erscheint.

Marta biss dem Schurken in die Hand. Dieser ließ den Dolch fallen. Marta griff danach, der Schurke in ihr Haar. Sie rammte ihm den Dolch in den Bauch. Die Männer meines Trosses stürzten auf zwei weitere. Mir war bislang entgangen, dass die Männer Waffen mitgenommen hatten.

Ich spürte nach Muttererde, während zwei weitere dieser Hinterhältigen Schlangenwappenträger,  Armbrüste spannten. Sie mussten es unweigerlich auf mich abgesehen haben. Ich spürte nach der Kraft Muttererdes, versuchte ihre Fäden zu erspüren und nach ihnen zu greifen. Die Erde und ihr Grün, ich sehnte mich nach einem Schild. Schon hörte ich die Bolzen auf mich zusirren.

Dann war da bloß ein mächtiger Hammer, Knochen knackten, eine Blutwolke, Aufschreie, ich vergrub mich in der Erde. Eine fremde Männerstimme rief uns zu, als wolle der Hammerträger uns zur Seite stehen. Bald waren alle Stimmen verstummt.

Sand fiel von meinen Schultern. Ich schüttelte mir Staub aus dem Haar. Der Mann mit dem mächtigen Hammer trat noch einmal auf einen der Schlangenwappenträger nach. Die Männer meines Trossen waren unversehrt geblieben. Blut schien auch an ihren Waffen. Die kleine Marta blickte mich mit großen Augen an. Sie meinte, sie hätte beobachtet, wie ich in meiner Macht als Hüterin der Muttererde Erdkruste um mich gehüllt hätte. Ich tätschelte ihr sanftmütig auf die Schultern, denn noch nie hatte ein Hüter, oder eine Hüterin Muttererdes solch ein Werk vollbracht.

Mit Marta an der Hand gesellte ich mich zu diesem fremden Hammerträger und den Männern unseres Trosses hin. Er blickte uns alle grimmig an. Warf uns spitze Worte zu und sprach davon, wie naiv wir doch seien. Ohne „echte“ Krieger eine solche Wanderung zu unternehmen wäre eine ebensolche Torheit, wie als wolle ein Mann rücklinks einen Baum besteigen. Mir wurde es später gewahr, wie doppelzüngig, diese Worte doch gemeint sein sollten.

Ich musste wissen wer er war und verriet ihm, dass mein Name Frenya Mutbrecht sei. Daraufhin ließ der Fremde knapp ein Bernhelm fallen und sprach davon, dass wir ihm doch nun ein ordentliches Horn Met schuldeten. Ich sprach davon, dass er gern die Entlohnung einzufordern vermochte, sowenn wir denn nur den Süden erreichten.

Seine Augen wurden größer und er fragte, was denn dort unser Begehr sein würde. Marta war flinker, als ich es aufzuhalten vermochte. Sie sagte: Angus müsse zurück gen Heimat gebracht werden. Darauf, war es um diesen Bernhelm geschehen. Man sei schon lange auf der Suche nach Angus und wo wir ihn denn versteckt hätten. Niemand traute ihm unsere Kutsche zu nennen, in der wir den Krieger gebettet hatten. Es dauerte einige Augenblicke, bis dieser Bernhelm verstand, dass wir ihm misstrauten.

Er zeigte eine Metallmarke, auf dem Wappen abgebildet schien. Es sei das Wappen des Südens und Bernhelm selbst sei ebenfalls ein Krieger des Südens im Diensten des selbigen Hauptmanns. Ich beriet mich mit meinem Tross, bis wir uns dazu entschieden Bernhelm glauben zu schenken und ihn Angus’s Zustand zu offenbaren.

Von nunan versprach uns Bernhelm die letzten Meilen bis in den Süden zu begleiten.


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…an die „Reise gen Süden“ 7. Sonnenlauf

Das Licht der Sonne begleitete unsere weitere Reise. Wenngleich wir mit dürftig gefestigtem Kutschrad nicht so flink vorangelangten, wie ich es uns gewünscht hätte.

Während wir vor uns dahintrabten gerieten Bernhelm und meiner in ein Gespräch. Der Krieger mit dem Hammer berichtete mir darum, dass er an der Seite meines Sohnes bereits einige, wenn auch wenige Male gekämpft habe. Doch seit ein Mann der Wüste im Süden erschien, sei Arnd in Gefangenschaft geraten.

Manche sagen, es sei zu seinem eigenen Schutz geschehen. Andere munkeln, er habe zu viele Geheimnisse vor der Obrigkeit und wäre nun solange unter Arrest, bis er auch das letzte Geheimnis feilbot.

Ich versuchte meinen Tross zu mehr Eile anzutreiben. Doch solange, wie das Kutschrad noch immer angebrochen war, würden wir den Trab wohl meiden müssen.


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…an die „Reise gen Süden“ 8. Sonnenlauf

Als die Sonne am 8. Sonnenlauf ihren Höchststand erreichte lag ein beschwerlicher Aufstieg in den Bergen hinter uns. Die Schmerzen in meiner Brust legten einen Schleier um meinen Verstand. Dennoch erreichte ich gemeinsam mit den Anderen den kristallklaren Bergsee.

Das Glück war uns hold. Ein Fischer mit seiner Fischerkate verbrachte hier sein Leben. Er vermochte uns dabei zu helfen das angebrochene Kutschrad wieder  zusammen zu bringen. Und er gab uns einige Lederschläuche für weiteres Trinkwasser und Trockenfleisch mit auf die Weiterreise.

Bevor wir jedoch wieder aufbrachen, hockte ich mich an das Seeufer und wusch mir das verdreckte Gesicht. Es tat gut den Staub der letzten Sonnenläufe abzuwischen.

Alles woran ich mich darauf erinnere war, dass ich mit wassergetränkten Kleidern im Ufersand lag und Marta neben mir kniete, um meine Wange zu tätscheln. Sie schien aufzuseufzen, als ich meine Augen öffnete.

Niemand verriet mir, wer mich aus dem Wasser gezogen hatte. Und auch sonst folgten viele Schritte darauf, die über die Pfade des Bergpasses führen, wenige Worte. Es war als hofften sie alle, dass ich bis zu unserem Ziel im Süden nur durchhalten würde.


Einleitungsklausel

…an die „Reise gen Süden“ 9./10. Sonnenlauf

Noch die ersten Male, in denen Herr Bernhelm uns beobachtete, brachte der Krieger mit dem Hammer abfällige Worte für unsere Meditation an den Bäumen. Und er verschränkte die Arme, wenn er zusah, wie unser Tross sich in jedem Wäldchen verteilte, um einen eigenen Zugang zu Muttererde zu finden.

Doch nun schien er sich damit abgefunden und gesellte sich stets, wenn wir in den Wald schritten, zu seinem Kriegsgefährten Angus hin.

Die Luft hier droben in den Bergen scheint sonderlich. Und das Atmen fällt mir schwer. Auch all das grobe Gestein lässt die Kraft Muttererdes schwerer erreichen. Doch ich bin zuversichtlich, dass wir meinen Sohn auffinden und befreien werden. Es muss mir einfach gelingen!


Einleitungsklausel

…an die „Reise gen Süden“ 11. Sonnenlauf

Als wir diesen Sonnenlauf die Bergkette verließen und wieder in die Wälder eintauchten, schien es als würde unser gesamter Tross aufblühen. Alle wurden sie redseeliger und es kam beinahe eine frohe Stimmung auf. Niemand dachte daran, dass die Anhänger der weißen Schlange erneut zuschlagen würden.

Es stellte sich beiher heraus, dass Herr Bernhelm ein sehr begabter Erzähler war. Wenngleich nicht all seine Geschichten wahr erschienen, so trug er sie dennoch vor, als hätte er sie allesamt selbst erlebt. Selbst mir war es so manches Mal nach einem Schmunzeln. Ein gutes Schicksal wurde uns zuteil, als sich der Pfad des Hammerschwingersmit dem Unsrigen kreuzte.

Für die nächsten Sonnenläufe entschieden wir uns Flöße zu nehmen. Flussabwärts würde es uns gewiss ein, oder zwei Sonnenläufe einsparen.


Einleitungsklausel

…an die „Reise gen Süden“ 12./13. Sonnenlauf

Das klare Nass des Flusses spiegelte die Sonne wieder. Es glitzerte wie dutzenden Kristalle, wenn die Wasser sich am Ufergestein trafen. Unsere Floßreise verlief in solch gleichklang, dass wir die Bäume und unsere Meditation daran nicht vermissten.

Herr Angus war bereits weiter erstarkt und unterhielt sich ausgiebiger mit seinem Kriegergefährten. Worum es in ihren Unterredungen gehen mochte belangte uns nicht. Es genügte zu wissen, dass wir den Gezeichneten in einem Ganzen in die Heimat zurückbrachten.

Die Schmerzen in meiner Brust wurden jedoch stetig unerträglicher. Es ließ sich empfinden, als wolle mir von innenheraus der Brustkorb bersten. Stetig begleitete mich nun diese Anspannung. Die nächsten Nächte werde ich gewiss keine Ruhe mehr finden. Die letzte Nachtruhe war bereits unsagbar schwer erkämpft.

Doch ich schwöre Ratger, dass ich meinem Sohn noch einmal in die Augen blicke, bevor mich Muttererde zu sich ruft.


Einleitungsklausel

…an die „Reise gen Süden“ 14. Sonnenlauf (Die Ankunft)

Ich bin so aufgeregt. Schon als wir die Flöße veließen und Herr Bernhelm versicherte, dass wir gegen Sonnenhöchststand das Dorf erreichen würden erfüllte mich mit solcher Vorfreude.

Nun stehen wir vor den Toren des Dorfes im Süden.

Herr Bernhelm versprach Herrn Angus zu seinem Hauptmann zu bringen. Wir hatten die beiden ziehen lassen und warteten nun hier. Ich würde nun meine Zeilen hier beenden. Nebel schwirrt in meinem Kopf und der Schmerz in mir ist, als würde er mich jeden Wimpernschlag über… übermannen wollen…ich werde…ich kann ihm nicht nachg….noch nicht nachgeben! Nur einmal…

Nur einmal will ich noch in Arnds Augen blicken…


Wer hätte ahnen können, dass dieser herrliche Tag solch ein dunkles Ende nehmen würde?
Um die heutigen Ereignisse vor dem Vergessen zu bewahren, vollende ich, Gabrielle Fennez, dieses Tagebuch von Frenya Mutbrecht.

Wie so oft leistete ich Arnd in seiner selbst verschuldeten Haft in der Grünen Feste Gesellschaft. Zum wiederholten Male redete ich auf ihn ein, er möge den Söldnern und diesem trostlosen Ort endlich den Rücken kehren und seinen eigenen Weg beschreiten, denn die Feste – das war mir nach all der Zeit klar – würde ihn nicht an sein Ziel bringen.

Heute schließlich hatte er es eingesehen und überreichte mir das Schreiben zur Auflösung des Artikelbriefes mit der Bitte, ihn weiter zu reichen.

Gerade wollte ich ihn alleine lassen, da polterte es vor der Tür und Bernhelm trat ein. Er riet Arnd, die Gelegenheit zu ergreifen und einen Blick vor die Mauern zu werfen, denn seine Mutter sei mitsamt ihren Gefolgsleuten gekommen, um ihn zu treffen.

Bernhelm verließ uns an der Festung und ich drückte ihm vertrauensvoll das Schreiben für Arnds Entlassung in die Hand. Niemand stellte sich uns in den Weg, waren doch die meisten Söldner gerade auf dem Weg in den Kampf. Arnd schien mir verängstigt und euphorisch zu gleich, als wüsste er, was geschehen war, würde es aber nicht wahr haben wollen.

Vor dem Tor warteten mehrere Wagen und Menschen, die hoffnungsvoll in unsere Richtung blickten. Unter ihnen stach mir sofort eine Frau ins Auge, so wie ich es in diesen Landen noch nie zuvor gesehen hatte. Eine fesselnde Präsenz ging von ihr aus. Wirkte sie noch so schwach und verletzt, so strahlte sie dennoch eine unglaubliche Macht aus… geradezu Magie! Das musste es sein, was Arnd mir stets als Kraft der Mutter Erde erzählt hatte.

Sobald er sie erblickte, rannte Arnd auf seine Mutter zu und schloss sie in seine Arme. Ihre Worte waren zu schwach, als dass ich sie hätte hören können, doch Arnd nickte mehrmals.

Ich vernahm Remals Namen. Hatte sie ihn zu uns geschickt? Oder wollte sie uns vor diesem Banditen warnen?

Ihr Gefolge stand um uns versammelt, hing an den letzten Worten der Mutter.
Schwach und flüsternd war ihre Stimme, als sie zu Arnd sprach.

Die Bürde des „Hüters einer neuen Eiche“ würde nun auf ihn übergehen, sobald Frenya nicht mehr lebte. Der Baum müsse einen neuen Ort der Zuflucht finden… Arnd solle die letzten Anhänger der Muttererde leiten?
Kaum ausgesprochen, sank sie in seinen Armen zusammen und schloss ihre Augen, dessen gewiss, dass ihr Wissen nicht mit ihr gestorben ist.

Arnds Schrei drang durch die Menge.
Wut klang darin, aber auch der Mut, etwas zu bewegen und einen Kampf zu führen,
vor dem er lange genug davon gelaufen war. …Und für einen Moment sah ich auch in Arnd Mutbrecht diese Magie aufleuchten.

Möge seine Mutter Ruhe finden.

Gabrielle Fennez

5 Gedanken zu „Tagebuch der „Frenya Mutbrecht““

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