Die Sachsentaufe.
Innerlich hatte ich gestöhnt, als Mutter Moll mir einen Auftrag dorthin erteilte. Nun eigentlich erteilt Mutter Moll keine Befehle, sie richtet Bitten an die Menschen. Doch wer würde es wagen, dieser herzlichen alten Dame etwas zu verweigern? Ich mit Sicherheit nicht, Mutter Moll war für mich tatsächlich so etwas wie eine über aus geliebte und höchst respektierte Großmutter.
Doch warum im Namen aller schickte sie mich wieder zur Sachsentaufe? Natürlich packte ich weisungsgemäß alles ein, was Mutter Moll für wichtig hielt und bald machte ich mich mit einem störrischen Muli zusammen auf den Weg zur Taufe. Erneute Wasserproben sollte ich nehmen, und ganz genau testen, wie weit die heilende Wirkung der Quelle reichte. Außerdem sollte ich schauen, ob die Nymphe der Quelle immer noch erzürnt über uns Menschen, vornehmlich über die Mitglieder der grünen Feste, war. Es ist nicht so weit vom Hospiz der Lucretianerinnen, in dem ich lebe, bis zur Taverne in Großenbrück.
Eigentlich nur ein bis zwei Tagesmärsche zu Fuß. Wenn man kein störrisches Muli bändigen muss. Alleine mit einem Handkarren wäre ich weitaus schneller gewesen. So brauchte ich mehr als zwei Tage, um vom Hospiz bis zur Taverne zu gelangen, wo ich mich für einige Tage einmieten wollte. Doch die Reise gab mir auch Gelegenheit, einige Menschen, die ich unterwegs traf, mit der Medizin der Lucretianerinnen zu versorgen. Da alles mehr oder weniger friedlich war, bestand die schlimmste Verletzung eigentlich aus einer Spatenwunde. Tatsächlich hatte der Bauer versucht, mit seinem Spaten eine große Ratte zu erschlagen und schlug sich das scharfe Blatt des Werkzeugs in die eigene Wade. Die Wunde hatte sich schon entzündet und der Mann litt große Schmerzen. In anbetracht der Erfahrung, die ich mit der Sachsentaufe gemacht hatte, lud ich den Bauern und sein Weib ein, mich dorthin zu begleiten.
Doch beide schreckten davor zurück, als tiefgläubige Ceriden lehnten sie, wie so viele, alles Magische ab. Ich konnte das auch verstehen, allerdings verstand und verstehe ich nicht, wie man sein Bein, vielleicht sogar sein Leben gegen den Glauben aufwiegen kann?
Nun ja, ich bin kein gläubiger Mensch und freue mich immer wieder darüber, dass Mutter Moll mich so akzeptiert, wie ich bin.
Um zu dem Bauern zurück zu kommen, ich reinigte seine Wunde so gut es ging, schnitt ein wenig fauliges Fleisch heraus und streute reinigende Kräuter in die Wunde. Allerdings erst, nachdem ich ihm eine ordentliche Portion der neuen Schmerzmittel gegeben hatte. Die Art, wie sein Fleisch auf die Kräuter reagierte, ließ nur wenig Hoffnung in mir entstehen, dass er sein Bein behalten konnte. Aber immerhin war ich in den nächsten Tagen noch in der Nähe und konnte täglich nach ihm sehen. Sein Weib war irritiert, als ich auf ihre Frage „hilft es, wenn wir beten?“ antwortete: „nun, es wird zumindest nicht schaden.“ Sie machte sich sofort daran zu beten und zum Eynen zu sprechen, und ich kann noch nicht einmal sagen, ob sie hörte, wie sie die Medizin verabreichen sollte. Kopfschüttelnd zog ich weiter und kam dank des verfluchten Mulis tatsächlich erst in der Abenddämmerung in der Taverne zum Kupferkrug ein. Die Betten waren nach wie vor einfach, aber sauber, ebenso wie die Mahlzeiten. Der Wirt war nicht traurig darüber, das ich für drei Nächte im voraus bezahlte, ebenso wenig war ich traurig darüber, dass er das Muli in den Stall trieb, es ablud und seinen Knecht die Gerätschaften nach oben schaffen ließ.
Der Tag war lang, weshalb ich direkt nach dem einfachen Mahl zu Bett ging. Die Nacht verlief, wie zu erwarten, absolut ereignislos. Am nächsten Morgen machte ich mich zunächst auf, nach dem Bauern auf der anderen Seite Großenbrücks zu sehen. Erfreut sah ich, dass er schon wieder herumhumpelte. Vielleicht hatten die Gebete ja doch geholfen? Sein Weib und er schienen es zu glauben. Doch als ich die Verbände wechselte, konnte ich die Begeisterung nicht teilen. Würden sie an ihrem Glauben festhalten, dann würde er sein Bein wohl verlieren. Auf jeden Fall würde er nie wieder nach einer Ratte mit einem Spaten schlagen. Erneut riet ich ihnen, die Gunst der Sachsentaufe zu erbitten, denn sie hatte nachweislich schon Blinde geheilt. Derartige Wunder waren mir von dem Eynen nicht bekannt, doch diesen Gedanken behielt ich für mich.
Erneut lehnten sie ab und ich machte mich auf, die Reichweite der Sachsenquelle zu erkunden. So gemein es klingt, doch dafür brauchte ich einige Kranke. Natürlich keine schwerkranken. Doch in jedem Dorf gibt es immer schniefende Nasen, tränende Augen, blaue Flecken und kleine Kratzer. Mein Plan war einfach, ich wollte die Menschen mit ihren Wehwehchen in wachsendem Abstand zur Quelle aufstellen, und ihnen jeweils Wasser der Quelle zu trinken zu geben. Natürlich hatte ich, hoffentlich ausreichende, Gegenleistungen für die Quelle dabei. Dieser Test war unglaublich schnell beendet, denn die Quelle heilt tatsächlich nur in ihrer unmittelbaren Umgebung. Schon nach drei Schritt ließ die Kraft nach. Damit war auch jeder Plan zu Ende, dem Bauern einfach ein wenig Wasser zu bringen und dieses als normalen Kräutertrank zu tarnen. Interessanterweise waren die meisten Dorfbewohner, obschon auch gläubige Ceriden, nur zu gern bereit, bei diesem Experiment zu helfen.
Warum nur waren der Bauer und sein Weib so stur? Seufzend und zugegebenermaßen mit keinerlei Verständnis für die beiden beendete ich die für diesen Tag geplanten Untersuchungen und fragte den Tavernenwirt nach dem Paar. Er nickte einmal, die beiden waren bekannt, natürlich, in so einem kleinen Dorf kennt jeder jeden. Er erzählte mir eine traurige Geschichte, sie ähnelte meiner eigenen, nur das hier die Eltern überlebt hatten, während die Kinder gestorben waren. Doch kurz bevor ihre beiden Kinder zu Tode gekommen waren, hatten sie dem Eynen gelästert. Seitdem hielten sich die trauernden Eltern an alle Gesetze und Gebote des Eynen, in der Hoffnung, dass die Kinder nicht in den finsteren Abgründen der Hölle landen würden. Nun, wenn man nichts glaubt, macht so etwas einem keine Angst, man findet aber auch keinen Trost im Glauben.
Am nächsten Tag ging ich wieder zu den Bauern, er war wieder bettlägerig. Der Geruch der Wunde sagte nicht nur mir, sondern auch den beiden alles. Ich versuchte alles in meiner Macht stehende, ihre Meinung zu ändern. Ich schmeichelte, drohte, versuchte sie zu überreden und auszutricksen, doch sie blieben stur. Obwohl stur nicht das richtige Wort ist, sie blieben fest in ihrem Glauben. Ich war wütend, es war so leicht, nicht nur das Bein, sondern auch das Leben des Bauern zu retten. Doch er verzichtete darauf, ebenso wie auf eine Amputation, die ihn vielleicht ebenfalls hätte retten können. Ziemlich unhöflich machte ich meiner Frustration Luft, und wurde dennoch höflich gebeten, das Anwesen zu verlassen.
Die Wunde war versorgt, was sollte ich sonst noch tun? Ich ging, doch ich wollte am nächsten Tag, dem Tag meiner Abreise noch einmal vorbeischauen. Die Sachsentaufe behielt ihr Geheimnis, es braucht etwas anderes als einen einfachen Heiler, um ihr Geheimnis zu ergründen, vielleicht einen Alchemisten oder Magier. Aber irgendwie glaube ich nicht, dass sich so bald Magier hierhin verirren
werden. Um die Mittagszeit des dritten Tages herum erreichte ich den Bauernhof, band das Muli fest und hoffte, dass man meine Entschuldigung annehmen würde. Mutter Moll hatte schon so oft zu mir gesagt, dass ich mich hinreißen lasse, wenn es darum, geht Verletzte zu versorgen.
Als ich klopfte, öffnete eine mir unbekannte Frau die Tür. Schweigend standen wir uns eine Weile gegenüber, dann ergriff ich das Wort, und erklärte, wer ich war. Sie wiederum erklärte mir, dass sie die Schwester des Bauern war. Schlimmes ahnend wollte ich eintreten, doch sie hielt mich davon ab.
„Sie sind bei dem Eynen“ Irritiert fragte ich nach, beide waren bei dem Eynen? Der Frau war es gut gegangen? Den Kopf leicht schüttelnd erklärte die Frau, was geschehen sein musste. Der Bauer war, wie vorhergesehen, an seiner Verletzung gestorben. Die Frau hatte sich daraufhin zu ihm gelegt und war mit seiner Hand in ihrer gestorben. Nach Worten, die mein Beileid ausdrücken sollten, suchend, unfähig, die Trauer zu verbergen, drückte die Schwester des Bauern mir kurz den Arm. „Seid nicht traurig, sie sind glücklich“ das konnte ich nun gar nicht verstehen. Bis die Frau mir erklärte, dass sie gemäß ihrem Glauben nach dem Tod wieder mit ihren geliebten Kindern vereint sind. Dieser Gedanke ließ mich nicht mehr los, als mich völlig niedergeschlagen auf den Rückweg zum Hospiz machte. Wir sind nur Menschen, Spielzeug der Götter. Doch vielleicht… nur vielleicht ….