Solanische Flüchtlinge – Hilfsbedürftige Menschenräuber?

Gericht
Richtplatz

 

Hört Trumländer,
was sich zuträgt auf Rigerund. Erinnert Euch der solanischen Scharen, die getrieben von dräuendem Ungemach ihre Heimat auf dem östlichen Festland hinter sich ließen und nun auf Rigerund eine Zuflucht fanden und die weithin berühmte siebenhöfener Gastfreundschaft erfahren.  Nunmehr 5000 Seelen zählend wächst die neue Stadt (im Volksmund schon „die tuchene Stadt“ genannt)aus Zelten, Holzverschlägen und befestigten Erdlöchern seit einigen Wochen schon deutlicher langsamer. So trägt die vorrausschauende Weisung des Rates doch Früchte und viele der haltlos durch Trum streunden Flüchlingsseelen konnten zu ihren Brüdern nach Rigerund verbracht werden. Ja selbst die Zustände bessern sich, sind doch die Scholaren der Baukünste  der heiligen Lucretia zu Kurmarsch und ihres Hospitz‘ im Sewenländischen unermüdlich in ihrem Streben den Solanen Hilfe angedeien zu lassen. So sind weniger Todesfälle zu beklagen als noch im Sommer, die Fäkalien fließen nun in den Sund ab und Krankheiten wie Gebrechen können behandelt werden.


Umso schwerer wiegt das Verbrechen
Einiger unter den Flüchtlingen. Aus welchem Grunde ließ sich nicht aus ihnen herauspressen und der Verbleib fünfer Scholaren liegt weiterhin im Wagen. In den letzten warmen Tagen des Oktobers verschwanden fünf der freiwillig und unter größten Anstrengungen Hilfe leistenden Scholare der Äbtissin Alheit Moll auf Rigerund. Niemand vermochte zu sagen, wo sie verblieben waren und nur Spuren eines Kampfes in deren Unterkunft deuten ein dunkles Schicksal an. Einige um den Schlaf gebrachte Nachbarn des Gasthauses konnten tagsdarauf verdächtige Gestalten bezeugen, die sich in solanischer Mundart tuschelnd an der entsprechenden Gassenseite des Gasthauses zu schaffen gemacht hatten.
Es entbrannte laut den Zeugen ein übles Handgemenge im Dunkeln und eingeschüchtert verschanzten diese sich hinter ihren Fensterläden, dem Ende der Nacht harrend. Zweifellos, so beteuerten die Zeugen und ehrbaren Bürger Siebenhöfens, würden sie höchstselbst eingegriffen haben, so sie zu dieser Zeit um die Natur dieser nächtlichen Schlägerei gewusst hätten!

Die hiernach durch die Stadtbüttel und von Inspektoren durchgeführten Untersuchungen in der tuchenen Stadt, brachten binnen einer Woche 23 mutmaßliche Übeltäter an Tageslicht, die auf’s Peinlichste und bis auf’s Blut befragt wurden. Sechs der Befragten konnte ihre Unschuld unter Anderem auch durch guten Leumund und Fürsprache anderer Flüchtlinge beweisen und wurden mit Wort, Brot und Münze entschädigt freigesetzt und öffentlich rehabilitiert. Die anderen siebzehn erwartete ein anderes Schicksal. Da diese auch nach schärfster Aufforderung und Befragung weiterhin uneinsichtig blieben und sich äußerst unkooperativ gebärdeten, musste der Siebenhöfener Richter, Gerhard Lutz Gering von Neuendorf, ein entsprechend strenges Urteil fällen. Die siebzehn solanischen Menschenräuber wurden vor den Toren der tuchenen Stadt öffentlich ans Rad gebunden und als Fanal der Verfehlung an den Tugenden des heiligen Severinius und widerlichen Schändung der Gastfreundschaft Siebenhöfens, Wiedens und der sewenenländischen Kurmarsch weder vorzeitig erlöst noch vom Rad genommen. So stehen die Räder heute noch dort.

Alheit Moll, Äbtissin der geraubten Scholare höchstselbst jedoch kam zur Verhandlung und hielt, man höre und Staune, Fürsprache für die Menschenräuber, konnte aber den Richter um des guten Rechtes willen nicht vom Schuldspruch abbringen. Unberirrbar kniete sie während des Vollzugs des richterlichen Spruches und betete die Seelen der Gepeinigten zu erleichtern. Sie stand nicht auf, bis der letzte der siebzehn nach vier Tagen Erlösung fand und nur der Siebenhöfener Herr in seinem Großmut stand des Nächtens bei ihr, sie im Gebet zu stützen und vor Ungemach zu schützen.

Fortan herrscht in der tuchenen Stadt eine beschämte Ruhe und die Blicke der Flüchtlinge senkten sich in Scham um die Missetaten ihrer Brüder. Doch soll dies nicht zwischen den Trumländern und Solanen stehen! So ruft Siebenhöfen auf, die tuchene Stadt weiterhin zu unterstützen und insbesondere mit Blick auf den nahenden Winter der Großherzigkeit Statt zu geben. Holz ist vonnöten, wollene Decken, Hafer und Brot. Die Solanen durch den Winter zu bringen ist eine große Herausforderung für Siebenhöfen. Fast muss es beschämen, jedoch gebraucht werden dringend Baumeister und Mediker, die den Platz der geraubten Scholaren einnehmen.

Die geraubten Scholare jedoch blieben bis zum heutigen Tage unauffindbar und der Eyne gebe, dass sie nicht leiden oder zumindest schnell Erlösung fanden! Senkt Euer Haupt in Gedenken und Andacht an jene mit ungewissem Schicksal, dass sie ereilte in Ausübung ehrbar Tat an Bedürftigen.

Arnulf Redenkamp,
Schreiber im Dienste des Wiedener Herolds