Viele Siebenhöfener haben die Gerüchte vernommen, die auf Märkten und Straßen von Mund zu Mund wandern. Ja, es ist wahr was man sich hinter vorgehaltener Hand erzählt und so bringt der Wiedener Herold Licht ins Ungewisse und deckt üble Machenschaften auf.Jedermann auf Trum kennt sie, die tuchene Stadt. Der Hort und Heimstatt für geschundene Flüchtlinge vom östlichen Festland. Kaum einer, der noch nicht die fremde Zunge der Solanen vernommen hat und um ihre tragische Geschichte im Heimatland weiß. Nicht zuletzt der Herold selbst tut kund, was ihnen widerfährt und wie es ihnen ergeht in unserem herrlichen Lande.
So schrieb der Verfasser dieser Zeilen gar selbst vor guter Jahresfrist schon über schlimme Begebenheiten, die zurückverfolgt und ergründet von Inspektoren des Rates direkt in die Heimstatt der Flüchtlinge führten.
Tatsächlich wurden damals ehrenwerte Scholaren der Äbtissin Moll (Kloster der heiligen Lucretia zu Kurmarsch) unter üblen Umständen von Fehlgeleiteten unter den Flüchtlingen direkt in der siebenhöfener Unterstadt geraubt und waren nie wieder gesehen. Mit der Hinrichtung der geständigen Missetäter meinte man bisher das Unheil begraben zu haben. Doch weit gefehlt werte Leser!
Unlängst trugen sich in der ersten Woche des sonnigen Märzens ganz ähnliche Widerlichkeiten zu, jedoch direkt in der tuchenen Stadt. Mitten in der Nacht wurden unter großem Tumult die Mauerwachen der Stadt alarmiert und zogen eiligst in das Lager der Solanen. Was sie dort vorfanden mag für die Unerschrockenen unter uns als Schauergeschichte taugen, besorgte Bürger Siebenhöfens und Trums bringt es wohl um den verdienten Schlaf.
Ein gewisser Bollhöfer, einer der befragten Stadtbüttel die in dieser Nacht dort Dienst taten, beschrieb die Situation als gespenstisch.
Als er mit seinen Kameraden in der tuchenen Stadt eintraf war allenthalben Zwietracht unter den Solanen zu beobachten. Ein Vertreter des solanischen Rates wurde gar aufgeknüpft am Halse vorgefunden mit einer Botschaft in die kalte Brust gesteckt. „Die zweite Ernte ist heut“ war darauf zu lesen und niemand unter den Solanen wagte sie abzunehmen, bis die Büttel der Stadt eintrafen.
Ein anderer Büttel berichtete von einem halben Dutzend Toter solanischer Lagerwachen, die wohl das Lager der erneut unermüdlich Hilfe leistenden Scholaren aus Molls Kloster bewachten als das Unheil über sie hereinbrach. Erste Stimmen unter den eilig befragten Flüchtlingen berichteten von Verrat in den eigenen Reihen, weswegen in dieser Nacht nun wenig Vertrauen unereinander in der tuchenen Stadt zu finden sei.
Doch finsterer Höhepunkt der blutigen Nacht ist die Tatsache, dass erneut Menschenraub begangen wurde. Erneut wurde Frevel begangen an selbstlosen Helfern aus der Kurmarsch und ihren solanischen Schützlingen. Ohne Spur bleiben drei Scholare der medizinischen Künste und ein Scholar der Baukunst, alle aus Äbtissin Molls Kloster. Mit ihnen verschwanden ein Dutzend ihrer Schützlinge, die in Ausbildung bei den frommen Helfern standen.
Nur wer ihn kennt wird ermessen können, welch Schmerz und Scham unser Herr Baron darüber empfindet, ist er doch Schutzherr der tuchenen Stadt und ward seid deren Bestehen nicht müde, den heimatlosen Solanen Hilfe angedeihen zu lassen und Fürbitte beim Rat Trums abzulegen.
Muss er sich nicht hintergangen fühlen, hintergangen von denen, über die er schützend seine Hand hält? Es bleibt abzuwarten, welch weitere Schritte Herr Ortwin unternehmen wird und welche Folgen dies für die Flüchtlinge hat. Einstweilen hat er strenge Bewachung der tuchenen Stadt angeordnet und Inspektoren aus dem allsehenden Turm angefordert, die Wahrheit hinter den Vorkommnissen zu ergründen. Auch ein Aufgebot in seinem Namen ist unterwegs zu Äbtissin Moll in die Kurmarsch und man munkelt von großzügigen Entschädigungen für die Angehörigen der Scholaren.
Der Herold und seine unermüdlichen Schreiber werden die Geschehnisse verfolgen und Euch, werte Leser, stets bestens informiert halten.
Arnulf Redenkamp,
Schreiber des Wiedener Herolds