Mein lieber Sahid,
Ich berichte dir mit diesen Zeilen von den Vorkommnissen auf Adrak, wo sich Tarek und ich zurzeit befinden. Es wird dich nicht erfreuen zu erfahren, dass wir festgesetzt worden sind von den neuen „Herren“ dieses Landes.
Tarek wurde nicht standesgemäß abgeführt und ich befinde mich in einer Art „Hausarrest“, bei dem ich allerdings immerhin den Schutz von bretonischen Abgesandten genießen darf. Dies nur vorweg, bevor ich mit meinem Bericht beginne, wie es dazu kam: Sammel deine Chahardara-Truppen, stärke dich, ich habe bereits Boten in unseren Palast geschickt dir Zugang zu unserem Familienvermögen zu gewähren, damit du noch weitere Söldner kaufen kannst und dann greif hart durch! Dieses Land ist kriegsgebeutelt und denkbar schlecht ausgestattet. Du hast jede Möglichkeit mich und meinen Bruder wieder auf freien Fuß zu bekommen. Doch du musst dich eilen. Die Verhandlungen sollen schon in kurzer Zeit beginnen und ich befürchte, dass diese ungehobelten Schurken, die hier das Sagen haben, sich nicht an die üblichen Normen und Höflichkeitsformen bei einer Behandlung eines Mannes seines Standes halten.
Vor zwei Tagen kamen Tarek und ich über die Grenzen dieses Landes, um zu prüfen, ob der Frieden zwischen den Häusern Silberberg und Kustor standhält oder wir die Möglichkeit haben uns endlich dieses Land einzuverleiben. Zehn Jahre währte der Krieg und wir haben es vortrefflich geschafft, ihn immer wieder zu fördern und die Silberberger dafür mit Waffen ausgestattet. Doch Kustor gewann dennoch und verlangte die Dame Theodora von Silberberg, die zweite Tochter der Familie zur Frau.
Als wir dies hörten machten wir uns auf den Weg, ihnen unsere „Aufwartung“ zu machen. Unterwegs drang immer wieder Kampfeslärm an unsere Ohren. Das wunderte uns, denn es sollte doch angeblich ein neu-befriedetes Land sein. Wir kamen an dem Tage an, an dem auch die Hochzeit stattfinden sollte. Viele Söldner zogen marodierend durch das Land, verwüsteten die Felder und überfielen wehrlose Frauen, die sie verschleppten und ihnen unsägliche Dinge antaten. Nein, lieber Vetter. So sieht kein Land aus, das sich unter der Kontrolle von einem großen Mann befindet. Sie forderten zurecht ihren Sold von Herodin von Kustor, der sie anscheinend für den Krieg angeheuert, aber nicht bezahlt hatte. Das hat man davon, wenn man sich ohne nennenswerten Besitz in den Kampf stürzt. Das könnte uns nicht passieren.
Dennoch hatte Kustor immerhin den Anstand, uns eine Einladung zu den Festivitäten zukommen zu lassen.
Tarek begleitete mich gerade mit unserem standesgemäßen Gefolge, das aus Henry, unserem Gardisten-Hauptmann, Charlotte und Hugo, unseren Leibdienern, Jacob, William und drei anderen Wachen bestand zum vor-hochzeitlichen Tee für die Damen, als die obere Schamanin unserer Chahardara unseren Weg kreuzte. Wie du weißt, haben Tarek und ich uns bereits vor langem von diesem antiken Glauben verabschiedet und erwarten dies auch von sämtlichen Bewohnern unseres Hauses. Doch so viele der niederen Wüstenbewohner hängen dem altbekannten Naturglauben noch an. Die Schamanin ist davon so überzeugt, dass sie die Macht über die Chahardara-Völker hat, dass sie sich stets und immer wieder unserem Einfluss entzieht und Konflikte schürt, wo sie nur kann. Du kannst dir denken, lieber Sahid, dass wir nicht erfreut waren sie zu sehen, hier, wo politisch gerade alles noch sehr angespannt ist.
Nichtsdestotrotz war sie wohl recht nützlich. Denn beim Tee gab es eine Geistererscheinung, bei der sie unterstützend eingreifen konnte. Ich bin zu dem Tee zu spät gekommen, was mich sehr ärgerte. Denn Pünktlichkeit und Tee sind zwei unumstößlich wichtige Dinge! Sobald der Körper der ermordeten Frau gefunden und ihr Geist verschwunden war, konnten wir den Tee in der Taverne fortsetzen. Stell dir nur vor, lieber Vetter, dort war kein einziges Kissen auf den Stühlen und Bänken zu finden! Man musste sich stets selbst die Gläser mitbringen und dunkel war es dort auch. Eine jämmerliche Vorstellung. Wie überaus feinsinnig von Tarek und mir es also ist, zu jeder Zeit den Hausstand mitzuführen, einschließlich von Charlotte und Hugo. Auf diese Weise können wir uns auch unterwegs standesgemäß bewegen. Alles andere wäre unverzeihlich.
Ich begleitete die bretonischen Damen und die junge Braut von Silberberg zum bretonischen Lager, wo wir noch einen kurzen Umtrunk genossen, bevor ich in unser bequemes Lager zurückkehrte und mich auf die folgenden Programmpunkte vorbereitete. Die Bretonen sind überaus gebildet und können sich vorzüglich formulieren. Die Damen übten noch für den Tanz, der am Abend stattfinden sollte. Ich fühlte mich hervorragend unterhalten, ob dieser exquisiten Gesellschaft. Unterschätze sie nicht, sondern versuche sie als Verbündete zu gewinnen! Sie habe noch das Wissen von wahrem Benehmen, Ehre und Stand.
Zur Nachmittagsstunde wurde ein Buhurt vor unserem Lager veranstaltet. Wir bezeichneten es eher als eine Thron-Schau. Denn jeder Adlige oder halbwegs gehobene Mann ließ hier seinen Stuhl zum Platznehmen herbringen. Ich war äußerst überrascht, setzten sich doch sonst stets alle ohne Fell oder Kissen in den Dreck. Überleg dir doch nur, wie der Kronprinz unterwegs war, mit offenem Hemd! Ich war bis aufs Letzte pikiert, so dass mein lieber Bruder sich genötigt fühlte, die Gesellschaft des Kronprinzen zu suchen und ihm unseren Hugo als Leibdiener auszuleihen, damit er sich vernünftig ankleiden könne. Er lehnte ab, der Himmel weiß warum. Ich konnte nur den Kopf schütteln. Mich wundert es dennoch nicht weiter, dass dies der beste Freund des Kustor ist. Da haben sich zwei gesucht und gefunden. Obwohl ich sagen muss, dass Herr Herodin stets vortrefflich gekleidet war. Seiner Kleidung lässt er wohl mehr Beachtung zuteil, als seinem eigenen Land und seinen Gästen.
Nach dem Buhurt wurde zum Festschmaus gerufen. Tarek und ich machten uns zeitig auf den Weg, während noch die Überreste des Buhurt vor unseren Füßen weggeräumt wurden. Und nun, liebster Sahid… Ich wage es kaum zu beschreiben: Als wir in der schäbigen Taverne ankamen, es waren immer noch keine Kissen auf den Bänken! Und da fragte sich die Braut doch tatsächlich, wohin sie uns wohl setzen möge! Welch eine Frage! Tarek war äußerst beleidigt und bemerkte öffentlich, dass es sehrwohl ein Affront wäre, uns zwischen die Burschen und Bauern zu setzen. So nahmen wir indes am Brauttisch Platz, wo bereits Fisch und Fleisch aufgetragen wurde. Zu unserer Linken saß der Kronprinz, zur Rechten erhielt Jarl Dalvon von den Dureonen seinen Sitz, der mir sehr unglücklich erschien. Während des Essens unterhielt er mich allerdings großartig mit seinem unbedarften Benehmen hochgestellten Persönlichkeiten gegenüber. Während wir dort saßen und aßen und redeten, bemerkte ich, dass auch andere Gäste mit der Behandlung durch das Brautpaar nicht einverstanden waren. Die gut situierten Bretonen standen in einer Schlange mit der Schamanin, den Knappen, Dienern und Söldnern. Welch ein Segen, dass uns unsere Diener mit Wein und Fleisch versorgten. Henry stürzte gar durch den gesamten Saal, als Tarek nach einer Hand zum Fisch-Auftragen verlangte.
Nach dem Festmahl gingen wir einen gesitteten, kleinen Verdauungsspaziergang machen, bis zur Trauungszeremonie am See gerufen wurde. Sie war kurz und finster. Die Musik war ausgewählt, doch schlicht und im Dunkeln verließen schließlich alle den Platz. Wir gingen zum Lager, um das Hochzeitsgeschenk zu holen. Echte Wüstenseide, gesponnen von unseren besten Seidenraupen für die Braut, große Diamanten, geschliffen in den Minen von Alazar und einen Brautsegen für das Paar von der oberen Schamanin im Namen des Volkes. Doch als wir zurück in die Taverne kamen, war es dort schäbig wie zuvor. Immernoch waren keine Kissen auf den Bänken und Tarek echauffierte sich mehr denn je. Zusätzlich war das Brautpaar nicht vor Ort und wir setzten uns zu den bretonischen Gästen, um zu warten, was unser Bote uns berichte. Die Tischdecken waren besudelt, Gesocks pöbelte durch den Raum und es wurde zum Tanz aufgerufen, ohne dass es Musik dazu gab. Was für eine Hochzeitsfeier! Unser Geschenk lag im Staub und wir verließen recht schnell diesen Ort der Beschämung, nachdem mein lieber Tarek zurecht die gesamte Gesellschaft aufgelöst und alle nach Hause geschickt hatte. Der Bote berichtete, dass das Brautpaar „Besseres zu tun“ hätte und so sahen wir uns zurecht in unserer Ehre gekränkt und kehrten ins Lager zurück.
Dort angekommen erkannten wir, dass unser guter Henry nicht bei uns war und wir begannen uns sorgen, ob dieser wirren Zustände in diesem Land. Wir suchten und fanden ihn jedoch schließlich bei den Dureonen sitzen. Oh, mein lieber Sahid, du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr die Vorkommnisse dieses Tages an deinem Vetter nagten. Und als er dann Henry wohlbehütet zwischen diesen wüsten Nordmännern fand, riss auch der letzte Faden seiner Geduld und er tobte wie irr durch das gesamte Wikingerlager. Niemand vermochte ihn zu beruhigen, bis er schließlich vor Schmerzen sein Herz hielt und Jarl Dalvon ihn bat, etwas leiser zu sein. Henry indes hatte seinen Kopf gesenkt und ließ die Wut seines Herren wohlüberlegt über sich ergehen.
Zurück im Lager hatten wir uns immernoch nicht beruhigt. Eine Beleidigung nach der anderen war an diesem Tag erfolgt und wir waren es müde, in diesem Dreck auszuharren. So sandten wir erneut Boten los. Meine gute Charlotte ging zu den Bretonen, Henry erneut zu den Dureonen und Jacob mit einer Abordnung sollte Kustor unsere Forderung nach Satisfaktion überbringen. Dieser jedoch ließ ihn warten und stehen und nicht seine Nachricht überbringen. Die Dureonen waren ihrerseits erzürnt über den Herren dieses Landes, der den Gewinn für den Bogenschießwettbewerb nicht an den dureonischen Gewinner namens Gernot auszahlen wollte und die Bretonen fühlten sich, gleich uns ob der vielfältigen Beleidigungen des Tages gekränkt und sprachen noch bis tief in die Nacht mit mir und meinem Bruder. Henry versuchte erneut das Wort an den Kustor zu richten, doch der ließ ihn wiederum auf der Straße stehen und so sahen wir uns darin bestätigt, dieses Land zu verlassen und am nächsten Tag mit mehr Mannen und gestärkt zurück zu kehren.
Zur Mittagsstunde am nächsten Tag erreichten wir erneut das staubige Lager. Wachen mit gezückten Waffen empfingen uns und ließen uns auf der Straße warten. Ein unerhörtes Benehmen! Die Frau des großen Jarls schalt die Mannen, bis Diener mir eine Truhe mit Fell zum Sitzen und einen Becher Wasser brachten. Was für ein Gesocks. Die gehobenen Herren erklärten meinem Bruder schließlich, dass Truppen aus unserem Volk Frauen und Kinder überfallen hätten. Jetzt verstand ich auch, dass die Bretonen die Seiten gewechselt hatten. Sie glaubten alle, dass dies auf unseren Befehl hin geschehen sei. Wir konnten sie schließlich überzeugen, dass dies wohl auf Ansinnen der Schamanin erfolgt sei. Sie war uns ohnehin schon lange ein Dorn im Auge und so eine passende Begründung. Und, als ob sie es gehört hätte, begann sie nur Augenblicke später auf der anderen Seite des Sees ein Blutritual, das die bewaffneten Tapferen schnell unterbanden und sie gefangen nahmen.
Was folgte, habe ich nicht mitbekommen, denn ich ging zu den bretonischen Frauen, um mit ihnen Cricket zu spielen. Die Schamanin wurde wohl zum Tode verurteilt, was mir nur Recht war. Doch die Angriffe blieben trotz allem nicht aus. Letztendlich konnten wir an dem Tag so viel verhandeln, wie wir wollten, die Chahardara machte uns einen Strich durch die Rechnung.
Mir wurde ganz flau und ich begab mich zur Ruhe. Diese feuchte, heiße Luft, die ständigen Angriffe, Anfeindungen und Beleidigungen schnitten mein Gemüt. Ich ließ mich von Charlotte empfehlen und ließ Tarek allein klären, was folgte. Hätte ich dies doch nicht getan. Denn nur kurz darauf wurde ein Cahardara-hHauptmann festgesetzt, dem man mehr glaubte als uns. Er beschuldigte uns ob eines doppelten Spiels und so kam eine riesige Delegation zu unserem Lager und nahm unter Kämpfen meinen lieben Bruder mit. Nun sitzt er im Kerker und ich bin mir nicht sicher, wie er behandelt wird. Die Bretonen stellten sich immerhin vor mich, nicht, dass ich auch noch dort landete.
Du kennst Tarek, mein lieber Sahid. Und du weißt nicht, wie dieses Land aussieht! Wie sieht dann erst der Kerker aus? Ich bitte dich: Handel schnell und unerbittlich. Ich werde mich derzeit darum bemühen, meinem Bruder mehr Bequemlichkeit zu erkaufen und den Verhandlungen beizuwohnen. Welch ein Frevel wird hier wohl geschehen? Lass das nicht zu!
In banger Erwartung auf eine Antwort, per Bote oder Krieg,
deine dich liebende Cousine Malukah.