Blutsbande – Letzte Gedanken einer Matriarchin – Tag 1

Ich machte mich auf den Weg zum abgesprochenen Treffpunkt, den Minister an meiner Seite. Zu Fuß. Denn wir hatten versprochen, dass jeder nur zu dritt kommen dürfe. Sonst würden keine Verhandlungen stattfinden können. Und die waren doch so wichtig!

Ehrlich gesagt…. Rechnete ich nicht mit einer Einigung zwischen Clan, Bruderschaft und La Familia. Unsere Unterschiede waren einfach zu groß. Wir waren eine von Frauen geführte Gesellschaft in einer Welt voller Männer. Zudem gefielen mir die Geschäftsmodelle von Bruderschaft und La Familia nicht besonders. Während wir noch Ehre, Respekt und Höflichkeit pflegten und auf diese Weise dennoch unsere Geschäfte mit Artefakten aller Art führen konnten, wusste ich, dass man der Bruderschaft mit ihrer Gewalt und dem Suff und der La Familia mit ihren Drogen und dem Sex nicht unbedingt über den Weg trauen konnte. Doch wir brauchten ihre Unterstützung, wenn wir gegen den König vorgehen wollten. Und das mussten wir.

Seit einiger Zeit, seit Johann von Trakelbach auf dem Thron saß, wurde unser Umfeld mehr und mehr beschnitten. Zuvor war das Land ein Himmelreich für Korruption und finstere Geschäfte. Drogenhandel, Schwarzmarkt und Gewalt beherrschten das Land. Und damit wir. Der kleine Mann wurde von uns beschützt… oder verfolgt. Jetzt aber, wo wieder Büttel durch die Städte strichen, Steuern auf alles erhoben wurden und unsere Geschäfte illegal geworden waren, schrumpften unsere Gruppierungen mehr und mehr in sich zusammen. Wenn wir nicht nach und nach in den Schatten verschwinden und sterben wollten, müssten wir uns zusammentun.

In den letzten Wochen gab es bereits Verhandlungen mit der Bruderschaft, um diese an uns zu binden. Der Minister sollte in den nächsten Tagen die Tochter des Bruderschaftanführers heiraten und so eine engere Freundschaft zwischen beiden Gesellschaften aufbauen. Er war nicht sonderlich erfreut darüber. Vermutlich dachte er, er müsse dann meine Seite verlassen. Aber als treuer Ratgeber und Untergebener gab er sich seinem Schicksal hin, ohne zu wissen, dass ich bereits Vorkehrungen getroffen hatte…

Der Minister unterhielt sich auf dem Weg mit anderen Reisenden, die sich zu einer großen Gruppe zusammengetan hatten. Unterdessen ließ er auch immer wieder einfließen, wie schlecht es allen unter dem neuen König, dem Ursupator ging. Auch er war der Meinung, dass man nur mit vereinten Kräften gegen ihn vorgehen konnte. An einer Wegkreuzung machten wir Halt, weil wir verfolgt wurden. Waren das Fremde dort im Wald? Büttel oder Räuber? Ich fluchte innerlich, dass wir die Tochter bereits zur Taverne vorgesandt hatten, um unsere Zimmer herzurichten. Sie war unser größter Schutz. Doch der Minister mit seiner magischen Kraft erkannte, dass es lediglich Fremde und die La Familia waren, die uns dort auf dem Weg folgten und so setzten wir das letzte Stück beruhigt zurück.

Als wir in der Taverne ankamen, begrüßten uns Laslow und seine Frau Natascha herzlich und luden uns an ihren Tisch ein. Natascha… diese falsche Schlange. Aber sie würde noch merken, dass ich nicht ihrem Charme erläge, im Gegenteil. Mörderin! Sie war für den Tod meines Vaters verantwortlich, das würde sie mir büßen. Ich würde sie im Auge behalten und mich an ihrem Unglück weide… aber jetzt noch nicht.

Als Begleitung hatten sie eine Alchemistin gewählt, was mich sehr wunderte. Tränke und fragwürdige Ingredenzien waren doch eher der Stil der La Familia. Aber wir würden noch erfahren, was es damit auf sich hatte. Die La Familia unter Don Pepone traf wie zu erwarten kurz nach uns ein. In Begleitung eines Buchhalters, der stets ihre Einnahmen und Ausgaben im Auge behielt. Das passt zu diesen Leuten aus dem Süden. Auch unsere Tochter setzte sich zu uns, wir aßen zu Abend und verabschiedeten uns bis zu einem späteren Zeitpunkt, an dem wir mit den Verhandlungen beginnen wollten.

Die Alchemistin der Bruderschaft führte uns in das große Zimmer unter dem Dach, dass Tochter bereits für uns vorbereitet hatte: ein dunkler, großer Raum, diffuses Licht. Ein erhöhter Sitz, von einem Schutzkreis umgeben, in dem ich sicher sein würde. Mit der Bruderschaft unter einem Dach zu sein, war nicht ganz ungefährlich. Erst Recht nicht, wenn Natascha zugegen war.

Doch zu meinem und des Ministers Erstaunen gab es kurz nach dem Eintreten einen kleinen Tumult, denn Tochter hatte größeren Hunger als erwartet und fiel über die Alchemistin her. Nach dem ersten Schrecken des Unerwarteten lächelte ich. Gute Tochter. Sie trank von dem Mädchen und zog sie nun langsam aber sicher auf unsere Seite. Das hätte ich nicht besser planen können. Jetzt hatten wir einen Spion in den Reihen des Feindes. Wohlwollend schaute ich sie nochmal an, bevor ich mich zu meinem Sitz begab und die Alchemistin uns wieder taumelnd und mit Kopfschmerzen verließ.

Wir ließen uns nieder, um kurz von der Reise auszuruhen, da gab es ein lautstarkes Getümmel vor unserer Tür. Der Minister verlangte nach Aufklärung, doch es antwortete nur eine freche, junge Dame, die Einlass begehrte. Neugierig, was denn geschehen war, ließ ich sie hereinkommen. Sie wurde begleitet von einem halben Dutzend anderer Leute. Frauen mit Kisten und Taschen unter dem Arm, Männer mit Waffen und Schilden. Diese mussten den Raum sofort wieder verlassen, doch zuerst weigerten sie sich. Es sei ihr Raum und wir könnten ihn uns teilen. Welch eine bodenlose Frechheit! Sahen sie nicht, dass hier wir residierten, die zumal nicht arm, dumm oder schwach aussahen? Was waren sie dreist und frech, dass sie einfach Einlass verlangten in einen fremden Raum?

Um dennoch unseren guten Willen zu zeigen, erlaubte ich den Frauen ihre alchemistischen Untersuchungen bei uns im Raum durchzuführen. Zumindest, solange wir auch noch dort verweilten. Doch bald schon wurden wir zu den Verhandlungen in den Keller gerufen und Tochter schloss den Raum hinter den Fremden ab, nachdem alle hinausgetreten waren.

Die Verhandlungen waren müßig. Die Bruderschaft warf stets unsinnige Dinge ein und die La Famila war eher abgelenkt durch die Tatsache, dass irgendwer in ihrem Geschäftsfeld wilderte. Tränke und Drogen wurden von anderen verkauft. Ein Seitenblick auf die Alchemistin der Bruderschaft erklärte alles. Dennoch überlegten wir, wie wir den Ursupator loswerden oder beeinflussen konnten. Doch die Ideen waren allesamt hanebüchend. Irgendwann schlossen wir die Verhandlungen für diesen Abend mit dem Ziel, dass wir in der Taverne die Stimmung gegen den König lauschen und anheizen wollten. Gerüchte streuen und Beeinflussen war die Devise.

Als wir aus dem Keller hinaustraten hörten wir einen Aufruhr vom oberen Treppenhaus. Laute Schläge, begleitet von Anfeuerungsrufen und lautem Krachen. Als wir hinauf zu unserem Zimmer kamen, gab es bereits einen regelrechten Auflauf an Menschen vor unserer Tür. Sie selbst hing in Fetzen, Zerborstene Balken lagen überall auf dem Boden herum und Männer mit Äxten grinsten uns entgegen.

Der Minister und ich bahnten uns einen Weg durch sie hindurch. Wutentbrannt betraten wir unser Zimmer. Ich begab mich sofort in Sicherheit in dem Schutzkreis, während der Minister die Leute davon abhalten wollte, das Zimmer zu betreten. Einige schafften es hinein, darunter die junge Frau von vorhin. Sie diskutierte lauthals und warf uns vor, ihre Freunde verschleppt, geknebelt, gefesselt, gar tot bei uns im Zimmer liegen zu haben. Vor lauter Irrsinn und Entsetzen wussten wir darauf gar nichts zu sagen. Das war doch eher die Gangart der Bruderschaft. Wieso wurde das nun uns vorgeworfen? Der Minister wurde laut. Ich habe ihn selten so entrüstet gesehen. Ich sagte ihm, er solle alle aus dem Zimmer werfen, was er auch tat. Ein weiterer Schutzkreis bildete nun unsere Tür, durch die niemand ungebeten hindurchtreten konnte.

Was für eine Respektlosigkeit. Hausfriedensbruch in einer fremden Taverne! Ohne, dass wir irgendetwas getan hätten, hatten sich Fremde Zutritt zu unserem Reich verschafft und nicht einmal Wiedergutmachung wurde geliefert, geschweige denn eine Entschuldigung. Das war ein Ehrbruch, den wir nicht schweigend hinnehmen durften. Mit diesen Barbaren würde ich nicht weiter ein Dach teilen.

So ging der Minister hinunter in die Taverne, um mit unseren Gastgebern, Laslow und der Bruderschaft zu sprechen. Ich ging nicht mit hinein. Unter diesen Pöbel würde ich mich nicht noch einmal mischen. Doch hörte ich, wie der Minister sich lauthals Gehör verschaffte. Allerdings, zu unser beider Entsetzen setzte sich niemand für ihn ein. Keiner der Fremden, nicht die Verbündeten, ja nicht einmal Laslow, der für uns hätte einstehen müssen. Stattdessen wurde er beschimpft und verspottet. Das konnten wir so nicht stehen lassen. Respekt, Ehre und Höflichkeit waren unsere Grundsätze. Wie sollten wir damit umgehen können?

Hass, Unverständnis und Wut flammte in mir auf, während ich weiterhin zuhörte, wie der Minister in seinen eigenen Gefühlen unterging. Ich trat auf Don Pepone zu und sagte ihm, dass jede weitere Verhandlung ausgesetzt sei, solange diese Wüstlinge unter diesem Dach blieben und niemand zu unseren Gunsten eingriff. Er verstand es nicht; seien die Verhandlungen um unsere Zukunft doch wichtiger als dieser kleine Zwischenfall, bei dem lediglich unsere Gefühle verletzt worden seien. Ich konnte nicht an mich halten und fragte ihn direkt, was er denn gedenke, wie er gehandelt hätte, wenn seine Tür aufgebrochen und zehn bewaffnete Mannen vor ihm stehen und ihn auslachen würden. Daraufhin schwieg er und der gesamte Clan zog sich für den Rest des Abends zurück.

Ich hatte meine Pläne und morgen würden wir sehen, ob Laslow gehandelt hätte oder wir abreisen würden.

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