28. Februar
Nach einer mehrtägigen Überfahrt auf rauher, kalter Westsee kommen Bjorn und seine Handvoll Leute im Südhafen Siebenhöfens
an. Zur Monatswende Februar/März scheint sogar Siebenhöfen nicht so gastfreundlich, wie immer behauptet wird. Es mag vielleicht an dem elenden Schmuddelwetter liegen, aber von den Berichten her hatte Bjorn irgendwie einen freundlicheren Empfang erwartet.
Ein bisschen Sonne wäre schön gewesen. So mussten er und seine Männer nun mit dem geschäftigen Hafen im Regen vorlieb nehmen. Auch gut, eilt doch so jeder gesenkten Hauptes seinem Ziel entgegen ohne auf sie oder auch nur den Nächsten zu achten.
Wo sollten sie nun hin? Ihr Kontakt wollte sie auf dem Schuhmarkt bei einem gewissen Pfefferwilli treffen, der wohl nicht zu verfehlen sei. Ein rasch befragter Schauermann grinst nur und heißt Bjorn an einem schaurig dräuenden Wehrturm vorbei stadteinwärts zu laufen und einfach der Nase zu folgen. Was das nun wieder sollte… Gesagt, getan. Die kleine Gruppe macht sich auf den Weg Richtung Wehrturm und Bjorn kann schwören, von darinnen her üble Schreie zu hören. Der Schatten des Turms ist kein angenehmer Ort und so gehen sie einfach der Nase nach in die Stadt.
Die breite Straße führt vorbei an Allem was man in einem Hafenviertel so erwartet und mündet bald in einem Marktplatz. Bjorns Nase weiß nicht weiter, dafür nehmen seine Augen und Ohren eine große Traube Menschen war, die sich vor einem offiziell aussehenden Gebäude sammeln und skandieren. „Schuldig-Schuldig-Schuldig“ rufen sie. Die Neugier lässt Bjorns Gefährten Helge nicht los und so zieht dieser die kleine Gruppe Richtung Menge. Als sie sich durch die Menschen nach vorne drängen erspähen sie einen edel gekleideten Herren mit erhobenen Zeigefinger vor einem Pult stehen: „…indes die Reue zur Schau getragen nur durch Schmach gesichert werden kann. “ Der Herr wartet einige Atemzüge den Beifall der Menschenmenge ab bevor er, den Finger noch erhoben, fortfährt „So sei der Delinquent unverzüglich an den Pranger zu stellen auf dass er für die Dauer von zwei vollen Tagen nicht nur Reue zeigen, sondern auch tätlich reuen kann.“
Der so eloquent dahersprechende Herr muss wohl eine Art Richter sein und auf eine kleine nickende Geste von ihm treten die Stadtbüttel im Siebenhöfener Gelb-Schwarz herbei und setzen unter erfreuten Rufen der Menschen das Urteil um. „Gut zu wissen“ denkt sich Bjorn, „Das Recht wird hier durchgesetzt.“
Helge scheint in der Zischenzeit den Weg zum Schuhmarkt erfragt zu haben, zieht er sie doch eilig vom Platz in eine Straße Richtung Innenstadt. Nach etlichen Gassen und Haken steigt den Solanen ein seltsamer Geruch in die Nase. Eine Mischung aus Leder, Farbe, Fett und Essen? Da die Richtung zu stimmen scheint, folgt Bjorn wie aufgetragen seiner Nase und fühet die kleine Gruppe auf einen überfüllten Marktplatz. „Schuhmarkt“ ist auf einem hölzernen Schild zu lesen und sie scheinen ihr Ziel erreicht zu haben. Überall bieten Schuhmacher, Lederer, Kirschner und andere Krämer hier ihre Waren an.
So ein Angebot aus Vielfalt und Menge hat Bjorn noch nicht gesehen. Der Duft nach Leder ist schier betäubend für die Nase und dazu mischt sich noch der Geruch nach Gebratenem. Aus einer noch volleren Ecke des Marktes schallt es nach bester Manier der Marktschreier „Holt Euch einen Riesendurst mit Pfefferwillis Bratenwurst!“ Das muss es sein.
Die Gruppe strebt Richtung Schreihals und schnell werden sie in eine lange Schlange gedrängt. Plötzlich schreit ein grobschlächtiger Fleischhacker Bjorn an „Junge, wieviel Würste solln’s denn sein für Dich und Deine halben Portionen?“ Lachend über das verdutzte Gesicht nimmt der Kerl mit bloßer Hand ein paar gebratene Würste vom glühenden Grill und stopft sie in einen halbierten Laib dunkles Brot und kippt eine Kelle dunkle Tunke hinein. „Jetzt schau nicht so verdutzt Junge, iss ja nur Spaß. Hier“ er drückt Bjorn das Brot mit den Würsten in die Hände, „im Dutzend billger! Macht drei Kupfer… und nebenan jibt’s ordentliches Bier für den Durst danach.“
Überrascht erwischt Bjorn sich selbst dabei wie er dem Pfefferwilli die drei Kupfer gibt und sich an einen Stehtisch verzieht. „Was war das denn?“ fragt Helge und blickt genauso überfahren daher wie Bjorn sich gerade fühlt.
„Egal, gib mal die Würste her!“ und schon bedienen sich die Mannen an Brot und Würsten. Schnell wird ihnen klar, was es mit dem Namen Pfefferwilli auf sich hat. Würste und Tunke sind voll davon und nur das Brot kann das Brennen auf im Maul und auf den Lippen notdürftig löschen. Der Geschmack ist allerdings hervorragend und will so garnicht zu dem lauten Kerl dort passen.
Einer der Kumpanen knallt Krüge voll Bier auf den Tisch und nach den ersten Schlücken kann Bjorn auch wieder sprechen. „Bei Beleas haarigen Beinen…DAS WAR GROßARTIG!“ und ein prächtiger Rülpser unterstreicht seine Worte. Ins Rülpsen einstimmend pflichten ihm die anderen Solanen herzhaft bei und als nach einem männlichen Prost die Krüge leer auf den Tisch knallen steht plötzlich ein Frau mit schmunzelndem Gesicht in der Runde. „Das sagt jeder Solane, der Pfefferwillis Bratereyen zum ersten Mal erlebt. Bjorn Thorvaldsson nehme ich an.“
Und schon schauen die Ankömmlinge wieder dumm drein. „Wir wollten uns hier treffen. Ich bin Euer Kontakt, Devi, und freue mich Euch in die tuchene Stadt bringen zu können.“ Das Dummschauen hält nicht lange vor und Bjorn findet seine strapazierte Fassung wieder. „Ähh..Bjorn Thorvaldsson. Richtig. Und das hier sind Helge Tuchbinder, Rolf Mennigheim, …“ er stellt seine Begleiter vor und aus einigen Minuten des Kennenlernens wurden einige Krüge herben Bieres, die Devi dazu nutzte, ihren Landsleuten Siebenhöfen zu erklären.
Im schwächer werdenden Tageslicht dann machte sich Devi auf, die Gruppe in die tuchene Stadt zu führen. Es ging durch eine große Stadt mit einer zweiten, inneren Stadtmauer hinter der die Häuser sehr viel prächtiger waren. Gegen Abend wurde dann auch das Wetter besser und die letzten Strahlen der untergehenden Sonne leuchteten auf einen riesigen Gebäudekomplex, den Devi als Kovent bezeichnete. Den Sitz des Rates von Trum.
Sie gingen an Kirchen vorbei und erhaschten einen Blick auf die Residenz des Siebenhöfener Herrn, Baron Ortwin. Freiherr von Uhlenbruch, Patron der Kirche zu … als Devi die verdrehten Augen Bjorns bemerkte, fing sie an zu lachen. „Keine Angst, mehr weiß ich auch nicht von seinen ganzen Titeln. Wollte Euch nur ärgern.“ Wenig später verließen sie zu Bjorns Verwunderung die Stadt und es ging am Richtplatz vorbei gewiss eine halbe Stunde lang, bis ein Meer aus Zelten und Laternen sichtbar wurden. „Die tuchene Stadt“ erklärte Devi nicht ohne Stolz in der Stimme.
„Hier wohnen also die 5000 solanischen Seelen“. Bjorn konnte sein Staunen ob des großen Lagers nicht ganz verbergen. Devi führt sie durch die Zelte und erklärt welchen Herausforderungen die Flüchtlinge gegenüber stehen und welche Hilfe sie bekommen und benötigen. Eigentlich, so ihre Meinung, gehe es ihnen den Umständen entsprechen ganz gut. Viele Festlandsolanen litten mehr als sie hier auf Trum. Obwohl, das Heimweh setze vielen wohl schon arg zu. Die Neuankömmlinge wurden einem gewissen Jensen vorgestellt, dem Verteter des Widerstands Solanias in der tuchenen Stadt.
Bjorn unterhielt sich lange mit diesem charismatischen Mann um auf dem Festland darüber Bericht zu erstatten. Es ging um den Stand in der Heimat, die Pläne des dortigen Widerstands und die Sorgen und Nöte der Flüchtlinge hier auf Trum. Mit ein paar weiteren Bieren wurde der Abend lang und irgendwann fanden Bjorn und seine Mannen Ruhe in einem, ihnen freigeräumten Zelt.
01.- 03. März
Langsam wird es mehr oder weniger anstrengend für Bjorn, obwohl ihn die Langeweile drückt. Vielleicht gerade ja deshalb. Seit zwei vollen Tagen trafen sie zusammen mit Jensen, Devi und anderen Getreuen des Widerstandes mit mehr oder minder wichtigen Leuten aus der tuchenen Stad zusammen und gingen Listen über Listen durch. Zwar war es erstaunlich, welch kompliziertes Räderwerk hinter der Versorgung der Stadt steckte, jedoch verschwammen die ganzen Listenpunkte so langsam immer wieder vor Bjorns Augen und er ertappte sich öfters dabei, wie sein Kopf erschrocken wieder hochnickte, gerade so dem Schlaf entkommen. Zu Bjorns Erstaunen scheint Helge Gefallen an diesen Listen zu finden, ist er doch eifrig bei jederArt Diskussion vertreten. Soll er, einstweilen, Bjorn rafft sich auf, wird er selbst sich mit interessanteren Leuten unterhalten.
So sind die frommen Baumeister aus der Sewenland Provinz Trums recht eifrig und lehren sogar einigen Solanen in ihren Künsten. Auch scheint es Fortschritte bei der Versorgung durch Mediker zu geben und so macht sich Bjorn auf, etwas Abwechslung in seine Tage hier zu bringen.
In den Gesprächen erschließt sich Bjorn schnell einer Gründe für die Aufopferung der Sewenländer hier. Sie sind Scholaren eines Ordens einer gewissen heiligen Lucretia und sind mehr Klosterbrüder und Schwestern als die üblichen Steinmetze und Mediker die Bjorn anderswo auf der Welt getroffen hat. Sei’s drum, jedem wie’s beliebt und solange seinem eigenem Volk dadurch Hilfe angedeiht will er über Sinn und Unsinn in Geistesdingen nicht mit ihnen streiten.
Eine üble Geschichte findet in den Gesprächen jedoch schnell den Weg an sein Ohr – ja er erinnert sich sogar einen Artikel im Wiedener Herold. Darinnen geht es um Menschenraub in der tuchenen Stadt vor fast einem Jahr. Einige Leute waren damals dabei und erzählen auch von den Verhören durch Inspektoren im Klageturm Siebenhöfens. Übel soll es damals darinnen zugegangen sein, jedoch letztendlich sei die Suche von Erfog gekrönt worden und zu aller Überraschung ein paar Verräter in den eigenen solanischen Reihen offenbart worden.
Dieselben waren damals zwar ihrer eigenen Missetaten geständig, doch konnten wohl selbst die Künste der Inspektoren nichts über die Hintermänner der Verräter herausbekommen. Seltsam genug, sagt man den Inpektoren doch fast Wunderdinge in ihren Fähigkeiten der Wahrheitsfindung nach.
Die Verräter, die – so die Geständnisse – für ihre finsteren Auftraggeber damals die Scholaren der Lucretia ausfindig gemacht und geraubt hatten, wurden bekannter Maßen rechtens für ihre Taten bestraft. Seither hat sich jedoch Einiges getan im Lager. Diese Äbtissin Moll hat weitere Scholaren Lucretias geschickt, die jetzt nicht nur die schlimmste Not lindern, sondern auch die Lehren und Künste dieser heiligen Lucretia weitergeben. Ja, sogar eine kleine Holzkirche des Eynen wurde erbaut. Bjorn denkt sich seinen Teil über Vergeudung und während weiterer Gespräche stellt er fest, dass jeder mit dem er redete im Anschluss wiederum durch irgendwelche Solanen befragt wurde.
Nach drei Tagen wird Bjorn nun auch das ständige Fragen und Antworten über und er verlegt sich auf’s einfache Herumlungern und Spazieren gehen. Warum eigentlich nicht in Siebenhöfen? Die tuchenene Stadt, Landsleute hin oder her, drückt nach ein paar Tagen doch schon auf’s Gemüt und so zieht es Bjorn abends in die Stadt. Erinnert er doch noch lebhaft die leckere Pfefferwurst auf dem Schuhmarkt und das bunte Treiben dort mag sein Gemüt sicher etwas heben. Vielleicht findet sich auch der Weg zur Blutgrube, die ihm hinter vorgehaltener Hand dringend ans Herz gelegt wurde. Dort soll man auf hervorrangende Kämpfe wetten können, also ganz genau das, was Bjorn als gelungenen Abend bezeichnet.
So einfach wie gehofft war die Grube nicht zu finden, aber ein bisschen Kupfer hier und gutes Bier da brachte Bjorn zurück ins alte Kontor an ein Lagerhaus. Dort ist nun verdächtig viel Betrieb für die späte Stunde und für weiteres Kupfer an einen Kerl, dessen Gesicht wohl höchtens die Mutter lieben kann -oder auch nicht- findet sich Bjorn in Siebenhöfens heimlicher Blutgrube wieder.
Feuchte, vor unbeschreiblichen Gerüchen triefende Luft umfängt ihn warm und er meint sogar den eisernern Geschmack frischen Blutes darin zu schmecken. Widerwärtig, primitiv und genau das wonach ihm gerade der Sinn steht.
So drängelt er sich durch die Menge nach vorn, da wo die Keilerei stattfinden muss. Etwas überrascht kommt Bjorn neben einem großen Kerl der Stadtwache zu stehen, der mit grimmigem Grinsen seinen recht prallen Geldbeutel wiegt und den Kämpfern zusieht. Diese liefern sich gerade einen heftigen Schlagabtausch ohne Deckung und so dauert es nicht lange bis einer darnieder liegt und ein paar seiner Zähne neben ihm. Ein paar Helfer zerren ihn aus dem Kampfesrund und die Buchmacher verteilen die Gewinne an die recht wilde Menge der Umstehenden. Scheinbar hat der Stadtbüttel neben Bjorn gewonnen denn ein guter Haufen Kupfer füllt seinen prallen Beutel nun noch mehr. Noch mehr staunt Bjorn als der Gewinner sich den Rock in den Farben der Stadt anzog und sich zu dem Kerl neben ihm gesellt. „Zufrieden Tauron?“ fragt der Gewinner und der große Kerl der Stadtwache, sein Name ist wohl Tauron, nickt zufrieden und klopft ihm auf die Schulter: „Jupp, gut gemacht.“
Als Nächtes springen zwei weitere Kämpfer in das Rund und zumindest einer kommt Bjorn bekannt vor. Irgendwie hat er dieses Gesicht in den letzten Tagen schon ein paar Mal gesehen und heute auch schon, meint er sich zu entsinnen. Nachdenklich schaut Bjorn zu, wie dieser Kerl sich seiner Sachen entledigt und ein großes Hautbild auf seinem Rücken entblößt. „KANTOS“ ist oben auf dem Rücken zu lesen und die Arme ziert jeweils eine Schlange, aus deren Maul am Handgelenk die Hände des Kerls herausragen. Sein Gegner, ein großer kräftiger Typ dem man besser nicht im Dunkeln begegnet, wirkt nicht zuletzt wegen seiner körperlichen Überlegenheit siegesicher.
Bjorn beschließt auf den Großen zu setzen und gibt dem Buchmacher auf seiner Seite bescheid. Sobald das Zeichen zum Beginn des Kampfes ertönt, stürmt der Große vor und rammt diesen Kantos in die Bretter, die das Rund bilden. Er packt den Kantos und schleudert ihn mit Wucht durch das Rund, stürmt hinterher und drischt mit den Fäusten auf diesen armen Kerl ein. Der sackt dann auch relativ schnell zu Boden, was den Großen zum Jubeln über den gewonnen Kampf bringt.
Doch hat er sich zu früh gefreut. Der Kantos rappelt sich unterdessen sichtlich benommen auf und spuckt dem Großen einen großen Schwall Blut und Rotz in den Nacken. Warum auch immer, dieser Kantos scheint zu grinsen und das Ganze als Spaß anzusehen. Wütend und überrascht dreht sich der Große um und stürmt abermals auf Kantos ein. Diesmal jedoch bleibt dieser nicht stehen sondern weicht behende aus, dreht sich dabei mit und schmettert mit Wucht den Großen in die Bretter.
Als dieser sich umdreht, schnellt die Rechte des Kantos vor an den Hals des Großen und man könnte ob der Hautbilder meinen, eine zustoßende Schlange zu sehen. Mit einem schnellen Ruck reißt Kantos seine Hand zurück und hält den blutigen Kehlkopf des Großen triumphierend in der Hand.
Bjorn dreht sich schier der Magen um als Kantos seine widerliche Beute mit einem verächtlichen Wurf dem sterbenden Großen an die Brust klatscht. Den Geräuschen um ihn herum entnimmt Bjorn, dass der ein oder andere weniger Kontrolle über seinen Magen hat und saurer Geruch macht sich breit. All das hindert die Umstehenden jedoch nicht am Jubeln, sind sie doch genau dafür hier. In der Blutgrube geht es zwar meist mit Knochenbrüchen und zerschundenen Gesichtern aus, manch einer lässt jedoch sein Leben im Sand, wie der Großen eben. Zu allem Überfluss hat Bjorn auch noch sein Geld verloren.
Nachdem der Große und sein Kehlkopf aus dem Rund gezogen wurden, bleibt dieser Kantos im Kampfesrund und die Menge jubelt seinen Namen. „Kantos, Kantos, Kantos, …“ ist zu hören und dieser ist sichtlich erfreut darüber. Erschrocken stellt Bjorn fest, dass dieser Kerl im Rund ihn plötzlich unverwandt anstarrt und grinst. „Mein nächster Gegner“ hört Bjorn ihn rufen und er sieht wie sich der Arm dieses Kantos mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihn richtet. Die Augen der Umstehenden richten sich auf Bjorn.
03. März
Obwohl es Bjorn normalerweise vorzieht, seine Kräfte für sinnvollere Dinge vorzuhalten, juckt es ihn bei diesem Anblick derbe in den Fingern. Ein solcher Kerl gehört abgeledert und in den Staub getreten. Ohne groß zu zögern springt er in das Rund und legt seine Sachen ab. Bjorn sieht nun aus anderer Perspektive wie gewettet wird und ärgert sich, hätte er doch vorher auf sich setzen sollen. Noch etwas mehr erzürnt beleidigt er diesen Kantos und macht sich bereit.
Das Zeichen ertönt und nichts passiert. Hatte Bjorn doch erwartet der Kerl würde ihn sofort angehen und wollte diesen geschickt kontern, steht der nur herum und wartet. „Gut“, denkt sich Bjorn, „lege ich eben los“ und fängt mit einer auf die Sehnen gezielten mehrfachen Handstoßattacke gegen die Arme seines Gegenübers an. Zu Bjorns Verwunderung wehrt sich dieser nicht ein bisschen und geht sogar in die Stöße hinein.
So kann er ihn nicht auf die speziellen Stellen treffen und damit die Sehnen schwächen. Der Kerl scheint zu wissen was er tut und schaut ihn dabei herausfordernd an. „Zwei hast Du noch“ kann Bjorn ihn hören. Ein solche Überheblichkeit hat Bjorn sonst nur bei Rittern erlebt, die sich ihrer Sache etwas zu sicher waren. Der schnell ausgeführte Tritt gegen die Knie wird auch geblockt, dafür sitzt der direkt nachfolgende Kopfstoß genau auf der Nase des Gegners, die ja vom Kampf vorher schon lädiert sein musste. So torkelt dieser auch rückwärts und Bjorn setzt eifrig nach, ihm den Rest zu geben.
Zu spät bemerkt er die Finte und spürt das heftig hochgerissene Knie des Gegners, wie es sein Brustbein mit einem kräftigen Stoß nach innen drückt. Bjorn weiß sofort was jetzt kommen wird, der bleierne, dumpfe Schmerz in der Leibesmitte und der vergebliche Versuch zu atmen, der sofort von stechenden Schmerzen vereitelt wird. Einen Augenblick hat er vorher noch und nutzt diesen für einen raschen Wurf am erhobenen Knie, der den Gegner niederschmettert und hoffentlich das Genick im Sand brechen wird. Schon ist der Schmerz da, der Körper verweigert das Atmen und Bjorn geht unweigerlich in die Knie. Was ist mit diesem Kantos?
Hat es sein Genick verdreht? Verdammter Schmerz. Das Jubeln der Zuschauer lässt Bjorn zunächst hoffen, doch muss er schnell feststellen, dass dieser nicht ihm gilt. Veschwommen nimmt er wahr wie jemand seinen Schopf packt und ein blutiges Gesicht schiebt sich in sein eingeengtes Blickfeld. Kantos.
„Fast Solane.“ hört er es aus immer dichter werdendem Nebel aus dessen Mund kommen. „Fast.“ und Bjorn sieht verschwommen wie eine Schlange ausholt.
„DAS REICHT!“ Eine laute Stimme dringt an Bjorns rauschende Ohren. „Ein Toter ist genug für heute. Lass ihn los und verschwinde!“ Bjorn sieht auf einmal nur noch gelb vor sich und fühlt sich hochgerissen. Langsam kann er wieder atmen und sieht wie dieser Kantos ihn anstarrt. Nun schon in einem dunklen Rock steckend mit einer weißen Schlange als Zeichen geschmückt. Bjorn kann es sich nicht verkneifen „Fast Hundsfott, Fast!“ hustet er seinem Gegner zu und nimmt dafür gern das Stechen in Kauf. Bjorn sieht wie die Lippen dieses Kerls Worte formen und kann nur mit Mühe etwas verstehen was wie „n ebn ine üda“ anhört. Egal.
Die gelbe Wand bekommt schwarze Flecken in Form einer Eule und ein Gesicht, dass wohl kein Lächeln kennt. „Pack Dich, Kerl“ hört er nur und schon fliegt er in hohem Bogen den Zuschauern entgegen. Als Nächstes landet seine Habe auf ihm und dann wird es dunkel.
04. März
Als stünde ein Riese auf ihm wird Bjorn vor Schmerz wach und findet sich in der Gosse hinter dem Lagerhaus wieder. Der Mond steht noch am Himmel und beleuchtet fahl die Gosse. All seine Sachen sind bei ihm und langsam kommt die Erinnerung. Was hatte ihn nur geritten, solch eine Torheit zu begehen? Jetzt weiß er auch, woher er diesen Kerl kennt. Er hat ihn in der tuchenen Stadt gesehen, bei den Scholaren und den Medikern. Auch ist der Kerl auf dem Schuhmarkt gewesen und vorhin dann in der Grube. Verdammt, es war eine Falle! Aber warum und was wollte dieser Kantos ihm sagen?
„n ebn ine üda“ – DANN EBEN DEINE BRÜDER! Siedend heiß fiel es Bjorn ein und er machte sich auf, rannte in die tuchene Stadt, so schnell er nur konnte. Seine Brüder, dass konnten nur Helge und die anderen sein. Er musste sie warnen und kam hoffentlich noch nicht zu spät. Das war kein einfacher Kämpfer gewesen, wenn er selbst mit ihm so spielen hatte können. Schneller!
Mit brennender Brust kommt Bjorn im Lager an und sucht nach seinen Gefährten. Ihr Zelt ist leer, und so bleibt ihm nur Jensen aus den Federn zu holen. Als er am Zelt Jensens ankommt beschleicht ihn schon eine üble Ahnung, sind dort doch viele Menschen versammelt. Als Bjorn nähertritt kann er den Grund des Auflaufes sehen. Jensen hängt an einem Querbalken des Lagersegels. An seinem Hals. Er rührt sich nicht mehr. An seiner Brust hängt ein Zettel auf dem geschrieben steht: „Die zweite Ernte ist heut Nacht“
Als Bjorn das liest trifft Devi ein und als sie dem üblen Werk gewahr wird, kommt kein Wort des Erschreckens über ihre Lippen. Ihr Gesicht wird bleich, ihre Lippen schmal und harte, fordernde Worte zerschneiden die unheimliche Stille. „Holt die Schwachen! Schützt die Scholaren! Hebt Leute aus und sammelt Euch am Feuer! Schickt um Hilfe in die Stadt!“ Sie wendet sich zu Bjorn „Nehmt Eure Männer, sammelt unsere Milizen ein und um Beleas Willen, schützt! die! Scholaren!“
Mit Devi sind auch Bjorns Männer angekommen und eilig werden ein paar Kämpfer, oder eher Leute die eine Waffe halten können, eingereiht. Der Haufen macht sich unterdessen rasch auf den Weg, das Lager der Scholaren zu erreichen. Dort angekommen sind schon erste solanische Wachen vor Ort und reihen sich in Bjorns Haufen ein. Sie stellen sich rund um das Lager der Scholaren auf und nach und nach wird es in der tuchenen Stadt lauter. Von Osten schallt Kampfeslärm heran und ein paar Männer der Miliz laufen los. „Zurück! Hier ist Euer Platz Brüder!“ Bjorns scharfe Worte zwingen die Männer zurück in den Ring. Nach und nach treffen auch die Solanen ein, die von den Scholaren in ihren Künsten unterwiesen wurden. Sie wollen ihre Lehrer schützen und haben dafür hergenommen was sich gerade finden ließ. Knüppel, Messer, Hämmer und Schaufeln. „Besser als nichts“ knurrt Bjorn und weist sie an.
Ein Gespann mit Plane kommt angerumpelt und hält vor dem Lager der Scholaren. Bjorn traut seinen Augen nicht, als er erkennt wer dort absteigt. Es ist dieser Kantos! „Ergreit ihn!“ wollte er eigentlich sofort rufen, doch spürt er einen scharfen Dolch an seiner Kehle. Als Bjorn sich daraufhin steif umsieht, stellt er fest, dass einige solanische Wachen ihre Waffen gegen Bjorn, seine Leute und die Scholaren richten. Ein ganz in weiß gekleideter Mann tritt vor Bjorn. „Was für eine ordentliche Wache. Kreisrund und kaum Lücken.“
Bjorn versteht nicht was der Kerl von ihm will. Eigentlich ist es ihm auch sehr egal, spürt er doch den kalten Stahl am Hals und geht seine Möglichkeiten im Kopf durch. Der Weiße schaut ihn an, „Vergiss es Solane, wenn Du Dich rührst werden Deine Brüder sterben“ und er deutet mit einem Blick zu Helge und den anderen. Tatsächlich steht es nicht gut um sie. Bäuchlings liegen alle auf dem Boden mit drohenden Speeren im Nacken. Bjorn beschließt vorerst ruhig zu bleiben und muss mit ansehen, wie ein großer Teil der gelehrigen Solanen und einige Scholaren auf den Wagen gezwungen werden.
„Voll“ lässt der Kantos Kerl hören und tritt auf Bjorn zu. „Üb noch etwas und wenn wir uns wiedersehen lieferst Du einen echten Gegner.“ Er wuschelt Bjorn den Kopf und steigt auf den Wagen. Der weiße Mann streicht Bjorns Haare wieder glatt, nickt einigen solanischen Verrätern zu und besteigt den Wagen. Ein paar der Verräter eskortieren den Wagen, ganz so, als würden sie ihn schützen und so verschwinden die armen Opfer in die Nacht.
Viele Minuten später sieht Bjorn seine Chance, das Heft des Handelns aufzunehmen. Mit einem kurzen Blick schätzt er die Situation ab. Die übrigen Verräter, als Wachen getarnt machen gerade Anstalten, die Überrumpelten Leute Bjorns endgültig auszuschalten. Bevor die Speere ihre Hälse durchbohren können, holt Bjorn mit dem Kopf aus und stößt ihn rücklings mit voller Wucht seinem Häscher ins Gesicht. Er packt dessen mit dem Dolch bewährte Hand, bricht diese mit einer scharfen Bewegung und wirft den so entwedeten Dolch dem Häscher Helges in die Brust. Bjorns eingespielte Männer reagieren sofort und keine 5 Atemzüge später liegen alle Verräter röchelnd am Boden.
„Verdammt!“ entfährt es Bjorn. „Es gibt Verräter unter uns hier“. Ihm ist sofort klar, dass die Chancen äußerst schlecht stehen, ohne großes Blutvergießen die Dinge hier aufzuklären. So fast er eine schnelle, einsame Entscheidung. „Helge! Du übernimmst ab hier und siehst zu, dass der Widerstand nicht in Gefahr gerät. WIE AUCH IMMER!“ Er wendet sich der entfernten Stadt entgegen und fährt fort: „Ich werde schnellstmöglich nach Solania zurückkehren und Antonia hierüber berichten. Sie muss das erfahren! Hoffentlich gewährt sie Mittel und ich komme mit Mann und Schwert zurück, die Brüder und Schwestern zurückzuholen.“ Er nickt seinen Gefährten nochmal zu und rennt los, den Hafen als Ziel.
Im Morgengrauen erreicht er eine Kogge, deren zweites Ziel Solania ist. Kurzerhand bietet er dem Kaufmann viel zuviel Geld für Überfahrt und Schweigen, doch das Ziel ist wichtiger als schnöder Mammon. Einige Stunden später läuft die Kogge aus und in der herrlichen Sonne, die den Ereignissen der letzten Stunden spottet, steht Bjorn mit grimmiger Miene am Heck.
Den Blick auf das entschwindende Siebenhöfen gerichtet presst er zwischen den vor Ungeduld mahlenden Zähnen heraus „Großer Fehler Schlange, großer Fehler…“
Ich bin hoch begeistert, was den Verlauf dieser Geschichte angeht. Und hoch beeindruckt, wie vielschichtig der Inhalt geworden ist. Ein großes Lob von mir!!!